HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
oberflächlich betrachtete, war sie eigentlich nicht sein Typ. Er war so lange dem Wohlstand hinterhergejagt, dass er stets nur an die finanziellen Möglichkeiten gedacht hatte, die ihm eine zukünftige Ehefrau bieten konnte. Ihr Charakter hatte dabei keine Rolle gespielt.
Lilly war jedoch jemand, den zu retten es sich durchaus gelohnt hatte. Deegan vermutete, dass ihr Lächeln noch strahlender wäre, falls sie sich dazu entschloss, ihren Retter zu belohnen. Vermutlich war sie allerdings bereits mit einem korrekten Buchhalter verlobt, der jeden Pfennig für die bevorstehende Hochzeit beiseitelegte. Sie wirkte wie ein braves Hausmütterchen.
Tat sie das wirklich?
Welche Frau verließ die Sicherheit ihrer bestimmt gediegenen Umgebung, um mit einer schweren Kamera in einem Viertel herumzuziehen, das so berüchtigt war wie Barbary Coast?
Vielleicht würde er niemals eine Antwort darauf erhalten. Er würde diese Belle finden, die wahrscheinlich sehr mitgenommen, aber noch quicklebendig war, dann zu Hannah zurückkehren und den beiden Frauen davon berichten. Danach würde die Erinnerung an dieses Abenteuer, das sie miteinander erlebt hatten, rasch verblassen, und sie würden sich wieder ihrem Alltag zuwenden.
Es würde keinen Grund geben, sie wiederzusehen.
Deegan fragte sich, warum diese Vorstellung ihm ganz und gar nicht behagte.
Als er aus Hannahs Haus trat und seine Schritte in Richtung Straße lenkte, stellte er fest, dass der Wind inzwischen nachgelassen hatte. Ehe er die Gasse verließ, blieb er einen Augenblick stehen und lauschte. Falls die Leiche jener Frau entdeckt worden wäre, würde es jetzt schon einen gewaltigen Aufruhr geben. Es war jedoch nichts Ungewöhnliches zu hören.
Er wollte Lillys Version jedoch noch nicht gleich verwerfen. Als sie ihm in die Arme gelaufen war, wirkte sie noch sehr erregt, und er bezweifelte, dass sie weit gerannt war. Vermutlich traf jemand wie Belle ihre Bekannten nicht in einem Café, sondern ganz in der Nähe ihres Zimmers. Er musste sich also nur hier in der Gegend umsehen.
Deegan war beinahe am Ende des Blocks angekommen, als er plötzlich den schlaksigen Schurken entdeckte, den Lilly als Mörder bezeichnet hatte. Es war vermutlich jener Severn, falls Hannah recht hatte. Der Mann stand am Eingang des Saloons, den er vorher betreten hatte. Er hielt ein Glas Whiskey in der Hand und beobachtete das Geschehen auf der Straße. Deegan stellte erleichtert fest, dass der Kerl ihn keines Blickes würdigte.
Anstatt weiterzugehen, tat Deegan so, als ob er sich für den Sermon, den Reverend Oliver Isham gerade an einer Straßenecke von sich gab, interessierte. Währenddessen behielt er den Ganoven scharf im Auge. Erst als der Mann in den Saloon hineinging, schritt auch Deegan weiter.
Er wäre fast an der nächsten Gasse vorbeigegangen, wenn ihm nicht im rechten Moment eingefallen wäre, dass es hier ein Bordell gab. Also bog er in das Sträßchen ein und entdeckte auch gleich ein Haus, das ganz so aussah, als ob darin Huren ihrer Arbeit nachgingen.
Wenn Lilly recht hatte, dann würde Belles Leiche sich noch immer vor dem Haus befinden. Schließlich war ihr der Mann sofort, nachdem er sie entdeckt hatte, hinterhergeeilt. Eine Leiche war jedoch nirgends zu sehen. Die Prostituierte musste sich also selbst davongemacht haben.
Falls es sich tatsächlich um den Ort des Geschehens handelte. Deegan bezweifelte keineswegs, dass sich Severn auf irgendeine Weise schuldig gemacht hatte. Dieser Mann sah ganz so aus, als ob er die Frauen, die für ihn arbeiteten, des Öfteren verprügelte.
„Hallo, Süßer“, rief ihm eine weibliche Stimme zu. Als Deegan aufsah, lehnte sich eine Frau aus einem offenen Fenster im ersten Stock. „Suchst du ein bisschen Vergnügen?“
Er schob den Hut in den Nacken. „Klar, Kleine“, erwiderte er, wobei er sich diesmal wie ein Cowboy aus Wyoming anhörte. „Heißt du vielleicht Belle?“
„Wenn dir das gefällt“, antwortete sie. „Ist das der Name deines Mädchens?“
„Nein. So heißt die Süße, von der mein Bruder ständig spricht, seitdem er das letzte Mal aus San Francisco heimgekommen ist“, behauptete Deegan. „Er hat sogar ein Gedicht für sie geschrieben. Ich habe es hier, um es ihr zu geben.“ Er fing an, in seinen Taschen zu suchen. „Er behauptet, dass heute ihr Geburtstag ist. Ein hübsches Mädchen namens Belle. Kennst du so jemanden?“
Das Lächeln der Frau verschwand schlagartig. „Noch nie gehört“, erwiderte sie
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