HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber ich kann doch nicht warten, während Belles Leiche …“ Mit einem Mal wurde sie aschfahl und begann ein wenig zu wanken.
Deegan, der bereits mit der Kamera zu kämpfen hatte, konnte nichts weiter tun, als sie am Ellbogen zu nehmen und festzuhalten.
„Danke“, sagte sie. „Schon der Gedanke daran …“ Sie verstummte und fing leicht zu zittern an. „Vielleicht setze ich mich besser hin.“
Sie sah ganz so aus, als würde sie jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. Deegan warf einen Blick auf die Straße, dann in die Gasse und fasste einen Entschluss. Wahrscheinlich würde er ihn später noch bereuen.
„Hören Sie zu. Ich heiße Galloway. Ich wollte gerade eine alte Freundin besuchen, die hier im nächsten Haus wohnt. Wenn Sie sich bis zu Hannah aufrecht halten, können Sie sich dort nicht nur hinsetzen, sondern auch eine Tasse Tee bekommen.“
Die Frau lächelte schwach. „Ich glaube, dass ich es so weit schaffe.“
„Ausgezeichnet“, erwiderte Deegan, hielt sie jedoch weiterhin am Arm fest, um sie zu stützen.
„Heute ist Belles Geburtstag“, sagte sie plötzlich. Es klang, als müsste sie über die schreckliche Untat sprechen. „Sie war erst zwanzig. Ich habe ihr eine Porträtaufnahme als Geschenk mitgebracht. Als er …“ Sie sprach nicht weiter und schluckte die wieder aufsteigende Angst hinunter. „Belle hat sie fallen lassen.“
Deegan wusste nicht, was er dazu sagen sollte, und versuchte stattdessen, schneller zu gehen.
„Es tut mir leid, dass ich Ihnen eine solche Last bin“, beteuerte sie.
„Das sind Sie überhaupt nicht“, versicherte er. „Es ist meine Berufung, Damen in Not zu retten.“
Sein kleiner Scherz ließ sie von Neuem lächeln. „Ich wünschte, Sie hätten Belle helfen können.“
„Ich auch“, stimmte er zu, auch wenn er noch immer bezweifelte, dass tatsächlich ein Mord geschehen war. Die Frau hatte vermutlich einen der in dieser Gegend üblichen Gewaltausbrüche miterlebt. Ihre Unerfahrenheit in solchen Angelegenheiten ließ sie wohl zu der Schlussfolgerung kommen, dass es sich um einen Mord handeln müsste.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte er, als sie den Hintereingang von Hannahs Haus erreicht hatten und dort eintraten. „Meine Freundin wohnt im zweiten Stock. Schaffen Sie es bis dort hinauf?“
Sie warf einen zweifelnden Blick auf die steile Treppe. „Ja, ich glaube schon.“ Sie legte eine Hand auf das Geländer.
Deegan blieb zwei Stufen hinter ihr und hoffte, dass das wackelige Geländer sie hielte, falls ihr wieder schwindlig würde. Sie schien zwar nicht mehr als ein Fliegengewicht zu sein, aber er bezweifelte, dass die Einrichtung dieses Hauses heute stabiler war als damals, als er noch hier gelebt hatte.
Jeder Schritt auf der Treppe verursachte ein lautes Knarren und warnte die Bewohner vor dem bevorstehenden Besuch. Die zierliche Frau vor ihm zog den Rock gerade hoch genug, um ihn nicht schmutzig zu machen. Deegan spürte, wie ihnen der neugierige Blick eines Augenpaars folgte. Er fragte sich, wie er vermeiden konnte, dass ihr Besuch bei Hannah dem Verfolger zu Ohren kam. Seine alte Freundin hatte bereits genug Scherereien im Leben gehabt. Als er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, entdeckte er den stillen Beobachter. Es war ein Junge von ungefähr zehn Jahren, der flach auf dem Boden im ersten Stock lag und seinen Kopf zwischen den Stäben des Treppengeländers hindurchsteckte. Er war noch schmutziger, als Deegan es früher gewesen war.
„Hallo, Kumpel!“, rief er dem Kind zu. „Du bekommst fünfundzwanzig Cent, wenn du Mrs. McMillan sagst, dass sie Besuch hat.“
Der Junge blickte auf. „Sie meinen die alte Hannah?“
Hannah war kaum siebenunddreißig Jahre alt und somit nur sechs Jahre älter als Deegan, doch der Junge hielt sie bereits für eine alte Frau. Hatte ihr das Leben in Barbary Coast so übel mitgespielt, dass sie jetzt schon wie eine Greisin wirkte? Er hoffte inständig, dass dies nicht der Fall war. Deutlich erinnerte er sich noch an ihre hübschen grünen Augen und das herrlich flammende rote Haar. Trusty hatte stets behauptet, dass sie das schönste Wesen sei, das er jemals erblickt habe. Sie schien auf jeden Fall die ausgeglichenste Frau, der Deegan in seinem bisherigen Leben über den Weg gelaufen war. Bei Trusty O’Rourke und ihm musste sie das allerdings auch sein.
„Wenn du dich nicht sputest, sind wir noch vor dir da, Junge“, warnte Deegan ihn. „Sag ihr, dass Digger
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