HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
– es hatte Vinia noch angefeuert. Die beiden waren auf den Speicher hinaufgeeilt, wo mehrere eingewickelte Ballen unbenutzten Stoffes aufbewahrt wurden. Dort hatten sie nicht nur Vinias Geschenk gefunden, sondern auch noch einen Brokatstoff, der einen ausgezeichneten Kontrast zu dem Dunkelblau bildete und als Schärpe benutzt werden konnte. Außerdem waren sie noch auf schwarzen Satin gestoßen, der nach Vinias Meinung eine elegante Ergänzung ergeben würde.
„Es ist ein großes Glück, dass die Röcke zurzeit gerade und schmal geschnitten sind“, sagte sie. „Stell dir nur die ganze Arbeit vor, die Mutters Kleider gemacht haben müssen, als sie Vater zum ersten Mal traf!“
„Allein der Gedanke an die Schärpe an diesem Kleid erschreckt mich“, gestand Lilly.
„Unsinn!“, verkündete ihre Schwester resolut. „Das Wichtigste ist der Schnitt, vergiss das nicht. Du solltest heute Abend den Rock zusammennähen, dann kannst du dich morgen auf das Oberteil konzentrieren, während ich mich an die Schärpe und die Verzierungen mache.“
„Die Verzierungen?“,fragte Lilly. Die Vorstellung, noch mehr Handarbeit vor sich zu haben, erschreckte sie. Sie musste Glück haben, wenn das Kleid kurz vor Beginn der Soiree fertig wäre.
„Ein paar winzige Perlenstickereien und etwas Spitze“, erklärte Vinia. „Das ist gerade wieder Mode. Wir nähen ein wenig davon auch an das Oberteil, befestigen einen hochstehenden Kragen und …“
„Sei still!“, bat Lilly. „Wenn du weitersprichst, muss ich mir noch Luft zufächeln, um nicht in Ohnmacht zu fallen.“
Vinia schaute sie nachdenklich an. „Apropos fächeln“, sagte sie. „Du weißt doch, wie man einen Fächer benutzt, oder?“
Das war wirklich die dümmste Frage, die sie jemals gehört hatte. „Natürlich!“
„Ich meine zum Flirten“, erklärte Vinia.
„Ich glaube, ich bekomme eine Migräne“, sagte Lilly. „Vermutlich hält sie bis zum Samstagmorgen an.“
„Die Soiree bei Mrs. Abbot ist am Freitagabend .“
„Eben“, erwiderte sie.
„Hasenfuß“, hänselte Vinia sie lachend.
Lilly wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie konnte sich noch immer nicht daran gewöhnen, ihre Schwester in so umgänglicher Stimmung zu erleben.
Diese erwartete allerdings auch gar keine Erwiderung. Stattdessen stand sie auf. „Warte hier auf mich“, sagte sie und ging entschlossen aus dem Nähzimmer.
Lilly tat, wie ihr geheißen worden war. Das Kleid wird tatsächlich sehr hübsch, überlegte sie und strich mit einer Hand über den weichen Stoff. Sie würde so völlig anders als sonst aussehen, dass sie jetzt schon Angst bekam, damit aufzutreten. Gleichzeitig freute sie sich aber auf die Gelegenheit, endlich einmal elegant zu erscheinen.
Wie mochte Deegan wohl auf ihr neues Aussehen reagieren? Obgleich es Vinias Absicht war, sie so zu kleiden, dass sie mühelos mit der Nob-Hill-Gesellschaft mithalten konnte, würde sie doch anders sein. Sie konnte sich keine professionelle Schneiderin leisten, die sie nach der neuesten Mode ausstaffierte. Doch ihr war es gar nicht so wichtig, wie die Leute sie beurteilten, solange nur Deegans braune Augen strahlten, wenn er sie sah. Ihr Kleid mochte noch so atemberaubend sein – sie selbst konnte sich nicht ändern. Mrs. Garvey hatte Miss Cronin als schüchtern bezeichnet, aber Lilly war sich sicher, dass die reiche Erbin im Vergleich zu ihr sprühend vor Witz und Lebensfreude war.
Sie musste wieder an Deegans Verbindung zu Miss Cronin und Miss Abbot denken. Wie hieß Winona wohl jetzt mit Nachnamen? Was für eine Frau war sie? Und warum hatte sie einen anderen Mann geheiratet? Sie glaubte nicht an Mrs. Garveys Behauptung, dass Deegan um Miss Cronins Hand hatte anhalten wollen. Da sie Leonore bereits ablehnte, ohne sie jemals getroffen zu haben, stellte sie sich vor, dass die junge Frau diese Geschichte nur erfunden hatte, um Mr. Galloway in die missliche Lage zu bringen, ihr ehrenhalber einen Heiratsantrag machen zu müssen.
Was er zum Glück aber nicht getan hatte.
Warum aber hatte er nicht um ihre Hand angehalten? Lilly wusste so vieles nicht, und doch stand sie kurz davor, sich in Deegan zu verlieben. Selbstverständlich war es ganz natürlich, dass er ihr so gut gefiel. Schließlich war er der erste Mann, dessen Gesellschaft sie wirklich genoss. Und der erste Mann, der sie anziehend genug fand, um sie zu küssen.
„Hier“,sagte Vinia, als sie wieder ins Zimmer trat.„Nun zeig mir, wie du den halten
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