HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
willst.“
Sie reichte ihr einen filigranen Fächer aus Ebenholz.
„Das ist Mamas“, protestierte Lilly. „Den kann ich doch nicht nehmen!“
„Sie wird bestimmt nichts dagegen haben“, versprach ihre Schwester. „Nimm ihn, und halte ihn richtig.“
Das zarte Holzgespinst wirkte so zerbrechlich, dass Lilly befürchtete, es kaputt zu machen. Ein wenig ungeschickt öffnete sie den Fächer und fächelte sich damit Luft zu.
„Falsch“, erklärte Vinia.
Sie blinzelte verblüfft. „Wie bitte?“
„Du hast gerade mitgeteilt, dass du verheiratet bist.“
„Unsinn!“, protestierte sie und hörte auf, sich Luft zuzufächeln.
„Ah, schon besser“, sagte ihre Schwester. „Sogar fast perfekt. Wenn du den Fächer in der rechten Hand offen hältst, bedeutet das, dass man mit dir sprechen kann.“
„Wirklich?“, fragte Lilly erstaunt.
„Die Fächersprache ist das wichtigste Rüstzeug für eine Frau, wenn es um Männer geht“, erklärte sie. „Hier, ich zeige es dir.“ Sie nahm Lilly den Fächer ab, schloss ihn und fuhr sich damit langsam über die Wange. „Das bedeutet: Ich liebe dich.“
Sie durfte diese Bewegung also auf keinen Fall ausführen. Was sie auch für Deegan empfinden mochte – sie wollte ihm niemals mitteilen, dass es mehr als freundschaftliche Gefühle waren, die sie für ihn hegte. Allerdings verrieten ihre Küsse mehr als nur freundschaftlichen Umgang.
„Und das …“,Vinia drehte den Fächer in ihrer linken Hand hin und her, „… bedeutet: Wir werden beobachtet.“
Man beobachtete sie bestimmt, wenn Deegan viel Zeit in Lillys Nähe verbrachte. Vor allem eine wohlhabende junge Frau, die ihn einmal abgewiesen hatte, würde wahrscheinlich ihre Augen nicht von ihnen lassen. Warum hatte sie sich nur Mrs. Garveys Klatsch angehört? Nun geisterte nicht nur Belle Tauber, sondern auch die schöne unbekannte Winona Abbot durch ihre Gedanken. Und sie konnte nichts dagegen tun.
Doch sie hatte sowieso keine Chance, Deegans volle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ob sie nun ein schönes Kleid trug oder nicht – sie würde stets nur seine Begleiterin bei einem Abenteuer sein, das sie seit ihrem Bericht beim Constabler für abgeschlossen halten sollte. Vielleicht sah sie ihn auf der Soiree bei Mrs. Abbot das letzte Mal.
„Wenn du einen Mann erblickst, den du gern kennenlernen möchtest, musst du deinen Fächer offen in die linke Hand nehmen und ihn etwas vors Gesicht halten“, fuhr Vinia in ihren Erklärungen fort. „Damit gibst du ihm zu verstehen, dass du seine Bekanntschaft machen möchtest, und er wird sich vor Eifer fast überschlagen, um jemanden zu finden, der euch einander vorstellen kann. Wenn du dir dann seiner sicher bist, zeigst du dein wahres Gesicht.“ Vinia schloss den Fächer und hielt sich den Griff vor die Lippen. „Das bedeutet: Küss mich.“
„Oh!“
„An diesem Abend solltest du dieses Signal natürlich nicht geben“, fügte sie hastig hinzu. „Auch wenn Mr. Galloway recht attraktiv ist, musst du ihm noch lange keinen Kuss geben, nur weil er dich zu Mrs. Abbot einladen ließ.“
„Natürlich nicht“, sagte Lilly. Sie wollte ihre Küsse weder als eine Belohnung noch als eine Schuldigkeit betrachten. Wenn es überhaupt wieder so weit kommen sollte. Es musste aus reiner Lust und aus Gefallen aneinander geschehen – aus keinem anderen Grund.
„Lillith!“, rief Vinia belustigt. „Du bist ganz rot geworden. Du hast also schon daran gedacht, dich von ihm küssen zu lassen, nicht wahr?“
Nun errötete sie noch heftiger, denn in ihrer Fantasie war sie noch viel weiter gegangen. Dabei kannte sie ihn erst zwei Tage! Sie musste wohl doch leichtsinniger sein, als sie das bisher vermutet hatte. „Vielleicht ist es das Beste, wenn ich gar keinen Fächer mitnehme.“
„Und was willst du dann mit deinen Händen tun?“
Sie vor Anspannung zu Fäusten ballen, dachte Lilly. Oder sie in Deegans vollem Haar vergraben, während sie sich der Leidenschaft eines Kusses hingab. Würde das genug sein, um sie ihre einsame Zukunft durchstehen zu lassen? Nein, das reichte nicht mehr. Sie wollte das haben, was auch andere Frauen erlebten – wenn es bei ihr auch nur an einem einzigen märchenhaften Abend geschehen sollte.
War Deegan wirklich bereit, sie ihrer Unschuld zu berauben, wie Mrs. Garvey behauptete? Insgeheim hoffte Lilly das fast. Sie hoffte, dass ihr neues Kleid ihn so verzauberte, wie Vinia das geplant hatte. Würde er wirklich weiter gehen, als sie nur zu
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