HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
dass sie ihm kein Damoklesschwert über den Kopf hielt.
Sie hatte beobachtet, wie der Verbrecher Karl Severn – und keine bekannte Persönlichkeit der Stadt – die unglückliche Belle Tauber ermordet hatte. Der Constabler hatte sich gar nicht für Belles Vorhaben interessiert. Und selbst wenn, wie Deegan vermutete, ihre Geschichte Severns Auftraggeber erreicht hatte, musste dieser Mann doch einsehen, dass sie keine Rolle in diesem Drama spielte.
Und wenn es doch so war, wie Deegan befürchtete? Befand sie sich wirklich in Gefahr? Würde sie beseitigt werden, weil sie ihrem Gewissen gefolgt war? Oder nahm man sie in Wirklichkeit gar nicht ernst? Lilly hoffte es inständig.
Dennoch wollte sie noch nicht aufgeben. Sie hatte noch immer vor, Edmund von ihrem Abenteuer und von Belle zu erzählen.
Wenn er und seine Frau Catherine heute Abend zum Dinner kämen, würde sie ihrem Bruder die wenigen Informationen mitteilen, die ihr bekannt waren. Vor allem wollte sie ihm auch von den Männern erzählen, die sie während ihrer Besuche in Barbary Coast gesehen hatte und die so ganz und gar nicht in dieses Viertel zu passen schienen. Sie kannte die Namen dieser Männer zwar nicht, war sich aber sicher, dass Edmund wüsste, von wem sie sprach.
Wenn Deegan recht hatte und sie sich tatsächlich in Gefahr befand, hatte sie nicht vor, ihr Wissen mit ins Grab zu nehmen. Sie würde die Informationen zurücklassen, sodass letztendlich die Gerechtigkeit den Sieg davontragen konnte. Aber lohnte es sich überhaupt, dass sie ihr Leben für so etwas opferte?
Wie am Tag zuvor stürmte Vinia ins Haus, gerade als sich die Familie um den Tisch versammelt hatte. Diesmal war ihre älteste Tochter mit dabei. Vinia war angenehm überrascht, als sie sah, wie viel Lilly bereits von dem Kleid genäht hatte. Zum Glück hatte sie einen recht einfachen Schnitt als besonders elegant empfunden. Ihre Mutter hatte außerdem vor ein paar Jahren darauf bestanden, eine neue Nähmaschine zu erwerben. So war es Lilly möglich gewesen, die Hauptarbeit in einigen Stunden zu erledigen. Nun blieben noch die komplizierteren Dinge übrig, die man mit der Hand machen musste.
Vinia nahm sich kaum Zeit, ihre Eltern zu begrüßen. Sie stürmte sogleich ins Nähzimmer im ersten Stock, um dort die Verzierungen an Lillys Kleid anzubringen. Ihre Begeisterung ließ sie viel jünger als fünfunddreißig Jahre erscheinen, sodass ihre Tochter ihr noch ähnlicher als sonst sah. Adeline war siebzehn und versuchte, so unbeteiligt wie möglich zu wirken.
Doch als sie das Kleid sah, begannen ihre Augen zu leuchten.
„Oh, Tante Lilly! Das ist wunderschön!“, rief sie. „Darf ich dir beim Nähen helfen? Mama sagt, dass ich gar nicht so schlecht bin.“
Je mehr Leute mir helfen, desto besser, dachte Lilly und nahm das Angebot dankbar an. Es blieb ihr nicht mehr viel Zeit. Und das nicht nur, weil der Empfang der Abbots bereits am nächsten Abend stattfinden sollte.
„Oje!“, rief Vinia aus und trat einen Schritt zurück, um das Kleid besser begutachten zu können.
Ihrer Schwester sank sogleich das Herz. Sie musste so sehr mit Deegan und dem Mord beschäftigt gewesen sein, dass sie wahrscheinlich etwas falsch zusammengenäht hatte. Die Vorstellung, noch einmal alles aufzutrennen, drückte ihre Stimmung noch mehr.
„Das geht auf gar keinen Fall“, sagte Vinia und legte die Spitze, die sie mitgebracht hatte, in ihren Korb zurück.
„Was geht nicht?“, fragte Lilly.
Ihre Schwester deutete ungeduldig auf den Korb. „Diese Verzierungen hier. Ich hatte die Farbe falsch in Erinnerung. Die Spitze muss umgetauscht werden.“
Sie seufzte erleichtert auf. Es war also doch keine Katastrophe, wie sie befürchtet hatte.„Dann nähen wir eben keine Verzierungen an das Kleid.“
Vinia und Adeline schüttelten beide den Kopf. „Die kann man nicht weglassen“, erklärte Vinia.
„Nein, unmöglich, Tante Lilly“, bestätigte auch ihre Nichte. Sie betrachtete noch einmal das Kleid. „Ich glaube, Schwarz wäre gut.“
Ihre Mutter nickte begeistert. „Natürlich. Schwarz! Warum habe ich daran noch nicht gedacht? Mit der schwarzen Schärpe wird das eine höchst dramatische Wirkung haben. Was für einen Sinn für Eleganz du doch hast, Schatz!“
Adeline strahlte glücklich, während Lilly weitere Arbeit vor sich sah.
Sie war jedoch angenehm überrascht, als Vinia ihr den Korb reichte.
„Adeline und ich nähen hier weiter“, sagte sie. „Und du kannst einen Spaziergang
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