HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
eventuell nötige Änderungen gleich vornehmen zu können.
Auch wenn das Kleid lange nicht so schön wie das von Marianne Abbot sein würde, fühlte Lilly sich darin doch wie eine Prinzessin. Sie sah so anders aus als sonst. Der blaue Stoff vertiefte ihre Augenfarbe, und der geschickte Schnitt unterstrich ihre Figur, die sie bisher stets für ausgesprochen unweiblich gehalten hatte.
Im Spiegel erblickte sie nun eine Frau, die zwar nicht im üblichen Sinn hübsch war, aber durchaus einen gewissen Charme besaß. Ihr kastanienbraunes Haar schimmerte und fiel ihr in sanften Wellen in die Stirn, hinten hingen drei Korkenzieherlocken aus ihrem Dutt. Lilly war so sehr daran gewöhnt, sich einfach einen Zopf zu flechten und ihn hochzustecken, dass sie sich ihrer eleganten Frisur ebenso bewusst war wie ihres Kleides.
Sie war zweifelsohne plötzlich eine anmutige Frau geworden. Der lange schmale Rock betonte ihre schlanke Gestalt und deutete eine Vornehmheit an, von der Lilly niemals geglaubt hatte, sie zu besitzen. Der Stoff der Schärpe verlieh ihrer Erscheinung noch eine gewisse Dramatik.
Vinia bedauerte, dass ihr die schwarze Spitze abhandengekommen war, versprach ihrer Schwester jedoch, am nächsten Tag eine neue zu besorgen. Erstaunlicherweise war es ihr und Adeline gelungen, das Kleid fast völlig fertigzunähen. Lilly hatte die beiden mit Tränen in den Augen umarmt, da sie so viel Zeit damit verbracht hatten, sie für den Abend schön zu machen. Früher hätte sie es niemals für möglich gehalten, dass Vinia so etwas für sie tun würde. Sie hatte sie als ebenso kalt wie Edmund eingeschätzt. Doch nun sah sie ihren Fehler ein. In Zukunft wollte sie sich darum bemühen, Vinia näher kennenzulernen und vielleicht gemeinsame Dinge mit ihr zu unternehmen.
Sie wollte endlich die Gelegenheit nutzen, ein engeres Verhältnis zu ihrer Schwester zu finden.
Um zehn Uhr war es im Haus bereits völlig still. Selbst die üblichen Geräusche schienen an diesem Abend nicht vorhanden zu sein – ganz so, als ob Edmund sogar den Mäusen auf dem Dachboden verboten hätte, einen Laut von sich zu geben.
Lilly war hellwach. In Gedanken beschäftigte sie sich noch immer mit ihrer Entführung und der darauf folgenden Flucht. Dieses Erlebnis war für sie noch erschreckender gewesen als der Tag, an dem Belle ermordet worden war. Diesmal jedoch hatte sie nicht nur Angst gehabt, sondern auch eine Kraft in sich gespürt, von der sie bisher nicht gewusst hatte, dass es sie gab.
Und erst die überwältigend schöne Empfindung, der sie sich in Deegans Armen hingegeben hatte …
Leider war es ihr nicht mehr möglich, all die Ereignisse des Tages mit ihrer Vertrauten, der Katze, zu besprechen. Catherine hatte nur einen Blick auf Loner geworfen und sie dann aus dem Haus verbannt.
Das hatte jedoch auch sein Gutes. Nun war sie dazu gezwungen, ihre Suche nach einem Bild von Belles Mörder fortzusetzen. Sie musste das Gesicht, das einem Mann namens Karl Severn gehörte, endlich finden.
Es blieb ihr noch eine Schachtel mit Fotografien, die sie noch nicht durchgesehen hatte. Sie nahm zwar an, dass es sich hauptsächlich um Familienaufnahmen handelte, wollte aber dennoch sichergehen, dass sie nichts ausließ. Schließlich gab es immer die Möglichkeit, dass sie aus Versehen eines der Fotos aus Barbary Coast falsch eingeordnet hatte.
Die Aufnahmen waren misslungene Versuche, ihr Familienleben einzufangen. Sie schaute sich die Bilder an und legte eines nach dem anderen auf das Bett. Es waren ihre ersten Versuche gewesen, und man konnte eindeutig erkennen, dass sie noch nicht wusste, wie man ein gutes Foto machte. Einige Aufnahmen datierten bereits zwei Jahre zurück, die gelungeneren waren erst sechs Monate alt. Wie sehr sie sich doch in kurzer Zeit verbessert hatte …
Lilly betrachtete eine Weile ein Gruppenbild. Die Gesichter der schlecht gelaunten Männer wirkten wie erstarrt. Noch kurz bevor sie die Fotografie gemacht hatte, waren die Abgebildeten fröhlich und ausgelassen gewesen. Sie hatten gerade in einem Baseballspiel gewonnen. Einige von ihnen hielten noch die Schläger in der Hand, andere hatten sich hingesetzt oder lagen auf dem Gras.
Das Spiel hatte an einem vierten Juli stattgefunden. Die Angestellten des „San Francisco Stand“ und ihre Familien waren zu einem Picknick eingeladen gewesen. Auch Edmund hatte damals fröhlich mitgewirkt. Obgleich er nun besonders patriarchalisch auftrat, war er damals durchaus willig gewesen, wie
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