HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
noch, wenn ich erst seine Frau bin.
Kurz vor Sonnenaufgang kletterte Kathryn aus dem kleinen Fenster auf der anderen Seite des Cottages. Sie schlich vorsichtig um die Ecke und bemühte sich, im Licht der Dämmerung zu erkennen, ob noch jemand im Dunkeln lauerte. Da Wolf fort war, raffte sie ihre Kleider zusammen und lief schnell hinter das Häuschen zurück, wo sie sich sicherer fühlte. Hastig kleidete sie sich an und eilte zurück zur Feste ihres Stiefvaters.
Obwohl Somerton Castle groß war, wusste Kathryn, dass niemand ihr Glauben schenken würde, wenn sie behauptete, die ganze Nacht innerhalb der Burgmauern verbracht zu haben. Nicht, dass es ihren Stiefvater kümmern würde, wo sie sich nächtens aufhielt – das Einzige, was für ihn zählte, war die Tatsache, dass sie ihm reibungslos den Haushalt führte und als Sündenbock herhalten konnte, falls dies nicht der Fall war. Dennoch würde ihre Abwesenheit ihm den gewünschten Anlass geben, ihr eine Tracht Prügel zu verabreichen, was eine seiner Lieblingsbeschäftigungen zu sein schien. Und Bridget hatte gewiss schon jede Kammer nach ihr abgesucht. Kathryn beschlich ganz plötzlich das schlechte Gewissen, weil sie der alten Frau Kummer und Sorgen bereitet hatte. Bridget war in letzter Zeit nicht bei bester Gesundheit gewesen, ohne dass Kathryn wirklich zu sagen wusste, was ihr fehlte.
Sie rannte über den Hof zu den Stallungen. Dort gab es genügend Schlafmöglichkeiten; und es war auch nicht das erste Mal, dass Kathryn die Nacht hier bei den Pferden verbrachte.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Kathryn von einer lauten Stimme auf dem Hof geweckt wurde. Das war ohne Zweifel der Gesandte König Heinrichs, und sie hatte nicht einmal die Spur eines Plans. Das Herz klopfte ihr plötzlich bis zum Hals, als sie die verärgert donnernde Stimme erkannte. Es war Wolf, der Ritter vom See. „Erklärt Euch, Somers!“, verlangte er. „Wo ist sie?“ Jetzt liegt keine Sanftheit mehr in seinen Worten, dachte sie, obwohl sie letzte Nacht noch wie eine zärtliche Berührung auf mich gewirkt haben.
Durch die angelehnte Stalltür sah sie ihren Stiefvater auf den Hof schwanken. Kathryn schaute auf zur Sonne, um die Zeit zu schätzen. Obwohl es noch nicht ganz Mittag war, hatte Somers schon zu viel getrunken. Seine Kleidung war zerknittert und besudelt, und die Bartstoppeln der letzten Nacht standen ihm noch im Gesicht. Sein Antlitz hatte diesen gemeinen Ausdruck angenommen, den Kathryn nur zu gut kannte. Er konnte kaum aufrecht stehen. Kein Wunder, dass der Ritter ungeduldig wurde. Vermutlich hatte er seit seiner Ankunft keine einzige zusammenhängende Antwort von Somers bekommen.
„Ich sage Euch doch, sie war hier. Und ich werde dieses schwachköpfige Balg auch auftreiben.“ Der Baron kniff die Augen zusammen, und Kathryn erkannte die Anzeichen trunkener Rachsucht. In diesem Zustand wollte sie ihm nicht über den Weg laufen.
„Ich werde in einer Stunde zurück sein“, sagte der Ritter, der dem Baron in Bezug auf seine Wut in nichts nachstand. „Dann werde ich die junge Kathryn abholen und sofort danach aufbrechen. Entweder Ihr sorgt dafür, dass sie dann hier bereitsteht, oder Ihr bekommt des Königs Zorn zu spüren.“
Wolf drehte sich um und entfernte sich mit einer Eleganz, die im krassen Gegensatz zu seiner kräftigen Statur stand. Kathryn hatte die Gelegenheit, sein Gesicht und seinen Körperbau kurz zu betrachten. Seine Züge waren markant und insgesamt nur allzu gefällig. Selbst eine schmale Narbe, die sich von der rechten oberen Hälfte seiner Stirn bis hin zur linken Wange erstreckte, konnte seine starke Anziehungskraft nicht mindern. Seine kühlen grauen Augen lagen unter dichten schwarzen Brauen, die in ihrer Beschaffenheit und Farbe genau zu seiner ungezähmten Mähne passten.
Kathryn beobachtete, wie sich der Mann voll Zorn durch sein dunkles Haar fuhr, und wusste, dass sie schnell handeln musste. Sie würde sich weder von den Männern ihres Stiefvaters einfangen lassen, noch gegenüber diesem Wolf und seinen Leuten irgendeine Schwäche zeigen. Sie wollte sich verstecken und auf Rupert warten. Erst nachdem er seinen Anspruch auf sie geltend gemacht hatte, erst dann würde sie geruhen, dem Wunsch des Königs zu entsprechen und nach London zu reisen. Denn wenn sie Baron Somers’ Besitzungen jetzt verließe, wie würde Rupert sie dann jemals finden können? Sicherlich war er schon auf dem Weg nach Norden, um sie zu holen.
Auf der
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