HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
war schon den Gang entlanggestürmt. „… den Schlüssel.“
Die vermaledeite Tür war abgeschlossen! Er sollte verflucht sein, wenn er zurückgehen und diesen Trunkenbold dort in der Halle noch um irgendetwas bitten würde. Mit der Schulter rammte er die massive Holztür, bis sie sich krachend öffnete.
Wolf ließ den Blick durch den Raum schweifen, aber alles, was er sehen konnte, war eine in der Ecke kauernde dürre alte Frau und ein dreckverschmierter Knabe mit aufgesprungener, blutiger Lippe. Hier war kein Mädchen. Der elende Baron hatte ihn belogen! Mit diesem Schwachsinnigen musste er noch ein Wörtchen reden!
„Wo ist sie?“, donnerte er los.
Der übel zugerichtete Junge bewegte sich auf Wolf zu. Seine abgenutzte braune Kappe, die er sich tief in die Stirn gezogen hatte, verdeckte sein Haar. Wolf bemerkte, dass ein unverletztes Auge eine ungewöhnlich schöne moosgrüne Farbe hatte, von dichten dunkelbraunen Wimpern umrahmt war und in Tränen zu schwimmen schien. Der Bursche blinzelte mehrmals, um wieder klar sehen zu können, wobei Wolfram nicht entging, wie er vor Schmerz leicht zusammenzuckte.
„Ich bin Kathryn.“
Wolf schaute sich im Raum um und war sicher, sich verhört zu haben. Er hätte schwören können, dass es dieser Knabe gewesen war, der gesagt hatte, er sei Kathryn.
„Es ist wahr, Sir“, sagte die Alte mit schwacher Stimme. „Das ist sie. Ich habe ihre Sachen in diese zwei Satteltaschen gepackt.“
„Ihr?“ Wolfram war verblüfft. Der König hatte ihm nicht genau gesagt, was ihn bei seiner Ankunft erwarten würde, doch dies hätte er nicht vermutet. Ein niedliches kleines Mädchen, vielleicht; aber so etwas? Nicht so ein schmutziges, zerschundenes Balg.
Noch einmal schaute er sich im Raum um. Es gab keine Möbel, nur eine mit Stroh gefüllte Matratze in einer Ecke des Raumes. Doch saubere Binsenmatten lagen auf dem Boden und verströmten einen würzigen Duft. Frische Blumen standen in einem großen Tonkrug im Fenster, und ein Holzkreuz hing an der Wand über der Schlafstelle. Er fragte sich, ob dieser junge … Mensch für den freundlichen Eindruck verantwortlich war, den die Große Halle machte. Wolf hielt das für wahrscheinlich, denn in dieser Burg erschien ihm niemand sonst dazu fähig zu sein. Auch in dieser kärglichen Umgebung hatte die junge Kathryn es fertig gebracht, sich einen heimeligen Zufluchtsort in einer sonst recht feindlichen Umwelt zu schaffen.
Langsam bekam er eine vage Vorstellung von der unglücklichen Lage der jungen Frau und stellte fest, dass er nicht übel Lust hätte, ihren Stiefvater dafür büßen zu lassen. Wenn der widerliche Trunkenbold sie nicht um sich haben wollte, warum, in drei Teufels Namen, verheiratete er sie dann nicht?
„Ich habe nur eine Bitte, Sir“, sagte Kathryn. Sie hob stolz das Kinn, und es fiel ihr offensichtlich schwer, ihn um einen Gefallen zu bitten. „Dass meine alte Kinderfrau uns begleiten darf. Sie ist seit dem Tod meiner Mutter ständig bei mir gewesen und …“
„Wie Ihr wünscht“, unterbrach er sie. Er wollte Somerton Castle so schnell wie möglich verlassen, selbst wenn er deshalb eine zusätzliche Belastung in Kauf nehmen musste. „Pack deine Sachen, Frau. Du hast nicht viel Zeit.“
„Geduld, Herr Ritter“, sagte das Mädchen, wobei es ihm in die Augen schaute. „Auf ein paar Augenblicke mehr oder weniger wird es nicht ankommen.“
Er ließ die beiden keinen Moment allein. Denn sollte der Baron das Mädchen noch mehr misshandeln, würde sich ihre Abreise auf unabsehbare Zeit verzögern. Außerdem wollte Wolf ihr keine Möglichkeit geben, wieder zu verschwinden. Ihrem zerlumpten, aber entschlossenen Aussehen nach zu urteilen, könnte sie den Mut aufbringen, noch einen weiteren Fluchtversuch zu unternehmen. Er war sich nicht mehr im Klaren darüber, ob es der Baron war, der sich weigerte, des Königs Aufforderung Folge zu leisten, oder sie, doch er wollte kein Risiko eingehen. Er würde sie nach London schaffen – und wenn er sie auf ihrem Pferd festbinden müsste.
Es stellte sich heraus, dass Baron Somers nicht gewillt war, ein Pferd für Kathryn bereitzustellen. Da Wolf ihn auf keinen Fall bitten wollte und sowieso beabsichtigt hatte, die kleine Kathryn vor sich auf seinem Hengst reiten zu lassen, kehrte er nun zu seinem ursprünglichen Plan zurück. Sie war ein wenig älter, als er vermutet hatte, aber sein Streitross Janus würde sie beide ohne Schwierigkeiten tragen können. Nach einer ganzen
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