HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
der Countess, Lady Agatha, nachzudenken – und zu viele andere Dinge bereiteten Kathryn schon jetzt Kopfschmerzen. Seine Lordschaft, der Earl, machte ihr am meisten Sorgen. Kathryn spürte, dass Philip ein gefährlicher Mann war und sie sich in Acht nehmen musste, solange sie in seiner Nähe war.
„Hier ist es, Mylady.“ Als sie die bescheidene, doch wohl ausgestattete Küche des anspruchslosen Hauses betrat, lief Alfie voraus und rief nach seiner Mutter.
Niemand antwortete.
„Offensichtlich ist sie nicht zu Hause“, bemerkte Wolf, als er sie eingeholt hatte. „Wasser und ein paar saubere Tücher werden es auch tun, Junge. Hol das für die Lady.“
„Ja, Mylord.“ Alfie machte sich auf, die Truhen seiner Mutter nach dem Benötigten zu durchsuchen, und goss danach etwas Wasser aus einem Krug in eine Waschschüssel. Alfie tauchte ein Stück Stoff ein, drückte es aus und begann, damit Kathryns Umhang zu reinigen.
„Es tut mir leid, dass ich Euren Mantel so beschmutzt habe, Mylady. Ich wollte nicht …“
„Ich weiß, dass du es nicht gewollt hast. Und mach dir keine Sorgen mehr. Der Umhang wird wieder sauber werden, wenn er nur ordentlich gewaschen wird“, sagte sie. „Weißt du, ich kann mich noch gut an meine eigenen Stürze erinnern, als ich in deinem Alter war.“ Sie verschwieg ihm, dass sie auch die darauf folgenden Bestrafungen kannte.
Alfie schaute zu Kathryn auf und wollte ihren Worten gar keinen Glauben schenken. Wenn er sie jetzt ansah, konnte er sich nicht vorstellen, dass sie jemals durch schlammige Gassen gelaufen war. „Jawohl, Mylady.“
„Ich habe auch einen Namen, Alfie“, sagte sie. „Ich heiße Kathryn, alle meine Freunde nennen mich so.“ Sie wusch ihre Hände in der Schüssel und fühlte sich in der bescheidenen kleinen Küche wohler als die ganzen letzten Tage auf der Reise und in Windermere.
Wolf hob das andere Stück Stoff auf und tauchte es ins Wasser. Dann nahm er Kathryns Kinn in seine linke Hand und drehte ihr Gesicht zum Licht, sodass er ihre Wangen und Nase vom Schmutz befreien konnte. „Ihr hättet Philip erzählen sollen, dass Ihr eine besondere Vorliebe für Schmutz habt“, bemerkte er.
Kathryn errötete und versuchte, den großen Ritter und das plötzliche Pochen in ihrer Brust nicht zu beachten. Sie war sprachlos. Er verwirrte sie selbst dann, wenn er nur mit ihr scherzte.
Kathryn wandte sich wieder dem Knaben zu. „Wenn wir zu dem Earl zurückkehren, musst du besonders höflich sein, Alfie. Ich fürchte, er wird nicht sehr erfreut sein, dass du uns folgst, also bemüh dich, nicht gesehen zu werden und …“
„Haltet doch einmal still, Kathryn! Ich will Euch nicht wehtun“, bemühte Wolf sich sanft um ihre Aufmerksamkeit.
Kathryn hielt vollkommen still und betrachtete die steinerne Feuerstelle. Dann ließ sie den Blick zu dem grob gefertigten Tisch schweifen. Dabei dachte sie, dass Wolf schon jetzt ungemein liebevoll zu ihr war, und fragte sich, wie er noch vorsichtiger mit ihren Verletzungen an Wange und Auge umgehen wollte. Eigentlich hätte sie seine Freundlichkeit voraussehen können, da sich dieser Mann ihr gegenüber bisher immer liebenswürdig verhalten hatte – selbst wenn er wütend auf sie war. Aber Kathryn hatte in ihrem Leben noch nicht viel Erfahrung mit Güte gemacht.
Wie sollte sie bloß bei klarem Verstand bleiben, wenn Wolf so dicht bei ihr stand, dass sie das lederne Wams, das er trug, und seinen männlichen Duft riechen konnte? Sie wusste, dass sie, wenn sie aufschaute, nah genug war, um die silbernen Flecken im Grau seiner Augen sehen zu können.
„… das ist alles, was ich tun kann, Myl… ähm, Lady Kathryn“, sagte Alfie, während er einen Schritt zurücktrat, um sein Werk zu betrachten. Der Umhang war zwar keineswegs sauber, aber den gröbsten Schmutz hatte er abgewaschen.
„Das wird genügen, Alfie“, sagte sie, etwas atemlos wegen Wolfs Nähe. Wenn er sie doch nur wieder berühren würde … küssen würde … Sie erschauerte bei diesem unerhörten Gedanken, hatte sich aber gleich wieder im Griff. „Hast du denn noch eine saubere Tunika, die du anziehen kannst?“ Kathryn schaute kurz in Wolfs sich verdunkelnde Augen und sah dort eine Verwirrung, die ihrer ebenbürtig war.
5. KAPITEL
Der Earl protzte so stolz mit seiner Stadt, dass man hätte meinen können, er höchstpersönlich sei für ihre Pracht verantwortlich. Er weidete sich so sehr an jedem einzelnen Steinchen, jedem kleinen Winkel und jeder Brücke,
Weitere Kostenlose Bücher