HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
schon erhalten.“
Agathas Eigentümlichkeiten fingen an, Kathryn so lästig zu werden, dass sie sich wünschte, nie in das Gemach der alten Dame gekommen zu sein. Um die Alte nicht zu verärgern, tat Kathryn wie geheißen, konnte jedoch nicht umhin, sich zu fragen, wohin dies alles führen sollte. Doch dann, als sie den Arm schon zurückziehen wollte, fand sie den losen Stein.
Vorsichtig zog Kathryn den schweren Brocken heraus und drehte sich um zu Agatha, ihn ihr zu reichen.
„Das ist es! Das ist es! Der Hahn wird zum Mittag gebraten!“
Kathryn griff noch einmal hinaus und schob die Finger in das Loch. Da fühlte sie einen Leinstoff, in den etwas eingewickelt war, fest und schwer wie ein Metallstück und von der Größe einer Münze. Sie zog alles heraus und sah, dass es ein großer Siegelring war, dessen Gravur einen Pfau mit ausgebreitetem Gefieder zeigte.
„Wessen Petschaft ist dies?“
„Dies ist das Siegel Bartholomew Colstons, einmal verloren, einmal gestohlen, nur um es neu und anders nachzumachen.“
„Ihr sprecht in Rätseln, gute Frau. Könnt Ihr Euch nicht verständlich ausdrücken?“
„Zeigt es nur dem Wolf, niemandem anders, sonst wird es Euer Schaden sein.“
Kathryns Wut siegte über ihre Bemühungen, guten Willen zu zeigen. Sie war mit ihrer Geduld am Ende. „Ich denke, ich werde diesen kleinen Schatz besser hier lassen“, sagte Kathryn und legte den Siegelring in das Mauerloch zurück. Warum die Alte ihn vor Philip verbarg, ging sie nichts an, und sie wollte auch nicht in ihren Streit hineingezogen werden.
„Nein!“, zischte Agatha. „Ihr müsst ihn nehmen! Versteckt ihn, und zeigt ihn niemandem außer dem Wolf.“
„Ich bitte Euch, Lady Agatha“, sagte Kathryn, als sie den Ring zögernd zurücknahm, „ich möchte mich nicht in Eure persönlichen Angelegenheiten mit Eurem Sohn mischen. Ich …“
„Nennt diesen Aasgeier nicht meinen Sohn! Er ist nicht von meinem Blut!“
„Nun, wer er auch immer sein mag, vielleicht solltet Ihr ihm sein Siegel – oder was es auch immer sein mag – zurückgeben.“ Kathryn versuchte, der Frau den Ring zu reichen, doch diese schloss Kathryns Finger darum.
„Warum wollt Ihr nicht verstehen?“, fragte Agatha verzweifelt. „Nehmt das Siegel! Versteckt es! Der Wolf wird wissen, was er damit tun muss!“
Kathryn seufzte. Sie nahm den Ring und den Leuchter und hüllte sich wieder in die Decke. „Schon gut, Lady Agatha“, sagte Kathryn zögernd. „Ich werde es tun.“ Auf dem Weg zur Geheimtür drehte sie sich noch einmal zu Lady Agatha um, die sehr zufrieden aussah.
„Ich habe so viele Jahre darauf gewartet …“, meinte die Alte, „sagt ihm, er solle Tommy Tuttle in London ausfindig machen. Möglicherweise wird der ihm mehr berichten können …“
„Wer ist denn Tommy Tuttle?“
Lautloses Lachen, aber keine Antwort. „Erzählt niemandem von diesem Geheimgang“, mahnte Agatha.
Kathryn wandte sich um, schlüpfte hinter den Wandteppich und durch die Tür. Ein paar Augenblicke später war sie wieder in ihrem eigenen Schlafgemach bei Bridget. Fast war es so, als ob sie nie fort gewesen wäre.
Die Wunde an Kathryns Lippe war nahezu verheilt, sodass sie beim Anblick des bunten Jahrmarkttreibens ohne viel Schmerzen breit lächeln konnte, als sie mit dem Earl of Windermere und seiner Gefolgschaft in die Stadt ritt. Der Bluterguss am Auge hatte jetzt nur noch eine leicht grünliche Färbung und sah gar nicht mehr so schlimm aus wie noch am Tag zuvor. Lord Colston lieh ihr ein Pferd, und obwohl sie wegen ihres Kleides gezwungen war, im Damensattel zu reiten, war es schön, sich an diesem herrlichen Tag draußen ungehindert und frei bewegen zu können.
Sie war noch nie aus Somerton herausgekommen. Außerdem waren die Märkte dort sehr klein und wenig bemerkenswert. Der Markt in Windermere dagegen beeindruckte Kathryn ungemein; doch das überraschte sie nicht sonderlich, da ihr alles innerhalb der Besitzungen des Earls groß und verschwenderisch erschien. Die Stadt war wunderbar, erfüllt von Lärm und Farben, Musik und Kurzweil. Der Duft von Speisen, die im Freien gegart wurden, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen, und der Anblick der aufgeregt umhertobenden Kinder erheiterte sie.
Während der reich gekleidete Earl neben ihr ritt, blieben Wolf und Nicholas, Hugh und andere seiner Männer in einiger Entfernung hinter ihnen. Kathryn bemerkte bald, dass die Stadtbewohner und Freien Abstand zu ihr und Lord Colston hielten. Die
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