HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
solche Sorgen gemacht hatte, brachte es aber nach einem Blick in ihre traurigen Augen nicht mehr übers Herz, ihr Vorwürfe zu machen.
„Eure Stiefel werden nass werden“, sagte sie, als er seine langen Beine hinunterhängen ließ.
Er setzte sich so, dass dies nicht geschehen konnte.
„Habt Ihr etwas gesucht?“, fragte Kathryn.
„Euch.“
Obwohl er verärgert schien, freute sie sich darüber. Sie betrachtete ihn von der Seite. Wie kann ein Mann nur so schön sein, fragte sie sich. Selbst mit der schrecklichen Narbe quer über seiner Stirn war er noch so gutaussehend, dass es ihr fast wehtat. Sie wollte nicht, dass er ihr böse war. „Ihr habt nach mir gesucht? Im Gras? Bei allen Heiligen, Gerhart, ich hätte schwören können, Ihr wolltet Kröten fangen.“
„Keine Kröten“, sagte er. „Nur ein streunendes Kätzchen, das sich zu weit vom Hof entfernt hat.“
„So hat mich Bridget immer genannt“, sagte sie mit Tränen in den Augen. „Mein Kätzchen.“
„Ich weiß.“
„Rupert hat damit angefangen“, sagte sie. „Was ist mit Euch? Habt Ihr viele Namen? Oder seid Ihr immer Gerhart?“
„Ich nehme an, dass ich vieles bin, Kathryn“, antwortete er kühl, als er an Rupert erinnert wurde, „und nur manchmal bin ich Gerhart.“
„Was ist mit Euren Eltern?“, fragte sie. „Wie nennen sie Euch?“
„Mein Vater ist tot. Aber meine Mutter hat mich immer ‚mein Sohn‘ genannt.“
„ Hat Euch so genannt?“
„Vor langer Zeit einmal.“
„Lebt sie denn noch?“
Er nickte.
„Seht Ihr sie jemals? Ich meine, Eure Mutter?“
„Schon seit fünf Jahren nicht mehr“, antwortete Wolf. Er hätte sie auch zwanzig Jahre nicht zu sehen brauchen, und sie wäre immer noch dieselbe. Starrte aus einem Fenster der väterlichen Burg in Bremen, aß nur, wenn man sie fütterte, und nahm nichts mehr wahr von dem, was um sie her geschah … „Aber ich weiß, dass es ihr gut geht und sie an einem sicheren Ort ist.“
„Ich kannte meine Mutter kaum. Ich war erst fünf, als sie starb.“ Sie streckte eine Zehe ins Wasser. „Bridget hat mir gestern Nacht erzählt, dass der alte König meine Mutter nach Somerton geschickt hat, um sie mit Baron Somers zu verbinden. Ich habe mich immer gefragt, warum sie Somers geheiratet hat, und wollte mehr darüber von Bridget erfahren, doch ihr Atem war so schwach, dass sie kaum sprechen konnte.“
„Das hat sie Euch erzählt, bevor sie gestorben ist?“
Kathryn nickte und schwang ihre Beine wieder ins Wasser. „Sie sagte, dass es etwas gäbe, das ich wissen müsste. Das war alles.“ Sie zuckte die Schultern. Vielleicht konnte Wolf dem, was Bridget erzählt hatte, noch etwas hinzufügen, schließlich war er doch von König Heinrich gesandt worden.
„Keine große Offenbarung auf dem Totenbett“, bemerkte Wolf.
„Nein.“
„Die Frage ist doch, warum der alte Heinrich Eure Mutter nach Somerton geschickt hat. Wahrscheinlich kannte er Baron Somers nicht.“
Offensichtlich wusste Wolf nichts über ihre Mutter und deren Heirat vor so vielen Jahren.
„Es scheint fast so, als ob ich hier in Windermere eine ganze Reihe unterschiedlichster Mitteilungen erhalten würde“, sagte Kathryn schließlich.
„Meint Ihr den Siegelring?“
„Ich habe darauf gewartet, dass Ihr mich danach fragt.“
„Ich möchte sagen, ich war ein wenig abgelenkt.“ Das entsprach der Wahrheit. Bei all der Wichtigkeit der Petschaft als Beweisstück gegen Philip Colston, bedeutete Wolf Kathryns Wohlbefinden mehr als das seinem Vater gestohlene Siegel. Er wünschte, er würde weniger für sie empfinden, aber das war unmöglich.
„Eine merkwürdige Alte hat mir den Ring gegeben. Zuerst glaubte ich, sie sei ein Geist oder irgendeine Erscheinung“, erklärte Kathryn, „aber dann fand ich heraus, dass sie sich durch eine geheime Tür in mein Gemach geschlichen hatte.“
„Eine Geheimtür? Ich weiß von keiner … ich will sagen, ich habe noch nie von verborgenen Gängen in Windermere Castle gehört.“ Er hatte geglaubt, jeden Winkel in Windermere zu kennen. Aber es war schon viele Jahre her, dass er das letzte Mal hier gewesen war. Als sie nach Bremen aufbrachen, war er erst neun Jahre alt gewesen. Es wäre möglich, dass Windermere Castle Geheimnisse barg, die einem jungen Knaben verborgen blieben.
„Doch, es gibt eine Tür. Ich werde sie Euch zeigen, wenn wir zurückgehen.“
„Wer war die alte Frau? Hat sie Euch ihren Namen genannt?“
„Agatha, sagte sie.“
„ Agatha!
Weitere Kostenlose Bücher