HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
sitzen zu sehen. Ihre Augen waren rot und geschwollen. Und obwohl er wusste, dass sie mehr zu beweinen hatte als seine Unverschämtheit in der Nacht zuvor, fühlte er sich schuldig, ihr zusätzlich zu den Belastungen der letzten Tage noch Kummer gemacht zu haben.
Wolf verbrachte den Tag mit dem Marquess und dessen Sohn William. Gemeinsam ritten sie über das Land und verbrachten den Nachmittag mit Fischen, wobei der Marquess eine Geschichte nach der anderen zum Besten gab über die Jugendstreiche von Wolfs Vater zu der Zeit, als Bartholomew und er zusammen in Castle Peak aufwuchsen.
Obgleich Wolf den Erzählungen über seinen Vater wie gebannt hätte lauschen müssen, drehten sich seine Gedanken immer wieder um Kathryn.
„… wirklich entschlossen, Rupert Aires zu heiraten?“, fragte William.
Gedankenabwesend nickte Wolf.
„Sie ist rothaarig, nicht wahr?“, wollte William wissen. Doch noch bevor Wolf ihm antworten konnte, fuhr der Sohn des Marquess eifrig fort: „Das wusste ich. Mit diesen grünen Augen musste sie es sein. Ich würde gerne …“
„Sie ist nicht zu haben“, entgegnete Wolf barsch. War sie wirklich ein Rotschopf? Er hatte sie noch nie ohne Kopfbedeckung gesehen.
„Was will Heinrich mit ihr?“, fragte der Marquess.
„Wenn ich das nur wüsste“, antwortete Wolf. „Will sie wahrscheinlich so schnell wie möglich mit Rupert verheiraten und seinen Eskapaden bei Hofe ein Ende bereiten.“
„Hm. Sie ist also tatsächlich mit Sir Rupert verlobt?“
„Das habe ich doch gerade gesagt“, entgegnete Wolf unwillig.
Wolf fühlte sich völlig zerrissen. Ein Teil von ihm wollte der Halle fernbleiben, um Kathryn nicht beim Abendessen begegnen zu müssen. Ein anderer Teil wünschte sich nichts sehnlicher, als sie zu sehen und sich mit eigenen Augen zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Es war, verdammt noch mal, zum Verrücktwerden. Wie hatte er nur letzte Nacht so herzlos zu ihr sein können? Er musste sich ins Gedächtnis zurückrufen, dass er nur so grausam gewesen war, um sie dazu zu bringen, ihn zu verachten – damit es kein Zurück mehr gab. Und das hatte er ja auch erreicht.
Wolf wusste, dass Kathryn im Verlaufe des nächsten Tages schon in London auf sich allein gestellt wäre. Sie würde Rupert Aires heiraten und nach Northumberland auf die Besitzungen der Familie Aires zurückkehren. Und er, Wolf, würde lange dazu brauchen, sie zu vergessen und nicht mehr jede andere Frau, die er traf – einschließlich Annegret – mit ihr zu vergleichen.
„Seid gegrüßt, Sir Gerhart“, sagte Lady Mary, als sich die Familie und die Gäste zum Abendmahl trafen. „Ihr habt Euch heute rar gemacht. Genauso wie mein Ehemann und mein Sohn. Ich denke, dass sich der Marquess seit Langem nicht mehr so über einen Besuch gefreut hat. Um die Wahrheit zu sagen, er scheint nur allzu begierig darauf zu sein, mich morgen früh zu verlassen und in Eurer guten Gesellschaft nach London zu reisen.“
Lady Kathryn setzte sich wieder neben Lord John und widmete ihre Aufmerksamkeit den Speisen vor ihr auf dem Tisch. Während Wolf Lady Marys Ausführungen mit nur halbem Ohr lauschte, sah er, dass Kathryn ihr Essen auf dem Brett herumschob und kaum davon aß.
Die Unterhaltung an der Tafel wendete sich dem Überfall auf Wolfs Reisegruppe auf dem Weg nach Kendal zu. Nicholas rühmte, wie tapfer die Männer die Angreifer in die Flucht geschlagen hatten, und Wolf nutzte die Möglichkeit, Kathryn aus der Reserve zu locken.
„Lady Kathryn landete ein oder zwei glückliche Treffer mit ihrer Steinschleuder und machte damit einige der Räuber kampfunfähig.“
Kathryn konnte kaum glauben, was sie gerade hörte.
„Die Burschen waren überrascht von den Treffern, sodass die Lady uns einen zeitweiligen Vorteil verschaffte, obwohl wir zahlenmäßig unterlegen waren, und …“
„Sie waren mehr als überrascht, Sir.“ Empörung schwang in ihrer Stimme mit.
„Was habt Ihr gesagt, Mylady?“
„Ich möchte meinen, dass ich sie mehr als nur überrascht habe“, erwiderte sie, fassungslos darüber, wie er ihre Mitwirkung an der Schlacht schmälerte. Immerhin hatte sie ihnen das Leben gerettet!
„Das stimmt. Sie wurden zeitweilig von ihrem Angriff abgelenkt, und meine Leute …“
„Wären kaltblütig gemeuchelt worden, wenn ich die Schurken nicht niedergestreckt hätte!“
„Lady Kathryn“, sein Ton war gönnerhaft, „wir alle wissen Eure Bemühungen zu schätzen …“
„Chester Moburn wäre aufgeschlitzt
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