HISTORICAL EXCLUSIV Band 23
Earl seufzte leise. Es war doch nicht ganz so leicht, wie er erwartet hatte. Er hatte gehofft, den Namen zu erfahren und sich dann aus dem Staube machen zu können, ehe die Gefahr bestand, dass ihn irgendjemand erkannte. Die fremde Frau aus der Hütte würde jedenfalls seine Anwesenheit in dem Gasthof mit Sicherheit nicht als puren Zufall betrachten.
„Ihr sagtet, sie hat eine Zofe bei sich?“
„Ja, ein Mädchen aus Wiltshire mit strohfarbenen Haaren und vielen Sommersprossen. Sie sieht niedlich aus, aber Ihr würdet sie dennoch keines Blickes würdigen neben der anderen.“
„Welcher anderen?“, erkundigte sich der Earl interessiert. „Wird die Witwe noch von einer weiteren Dame begleitet?“
„Ja, und sie ist eine richtige kleine Schönheit, fast so wie die Muttergottes in der Kirche: Haare wie vergoldetes Silber und Augen so klar und blau wie der Himmel. Sie kam hier zusammen mit der Witwe an, hat aber schon den Burschen vom Wirt beauftragt, sie morgen im Zweitsattel nach Linton zurückzubringen. Sie hat nämlich Angst vor Pferden und reitet nie alleine. Aber dem Burschen ist es schon recht so. Sir …“, plötzlich bekamen die Augen des Mannes einen ängstlichen Ausdruck, „… Ihr denkt doch nicht etwa, dass es Eure Schwester ist? Ich möchte nicht, dass der Junge Schwierigkeiten bekommt, weil er einer Ausreißerin behilflich ist.“
„Das wird er bestimmt nicht“, entgegnete der Earl beruhigend. „Außerdem bin ich im Zweifel, ob es tatsächlich meine Schwester ist. Ihr sagtet, sie ist klein? Aber meine Schwester ist groß, geht mir etwa bis zum Kinn.“
„Nein, die hübsche Blonde würde Euch eben bis zur Schulter reichen.“ Der Kutscher kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Aber die in Witwentracht ist groß, Mylord. Ich wette, sie ist der Vogel, den ihr ins Netz bekommen wollt.“
„Mag sein. Ich muss indes sicher sein, ehe ich ihr gegenübertrete. Diskretion ist in dieser Angelegenheit das Wichtigste. Wenn der Verlobte meiner Schwester entdeckt, dass sie davongelaufen ist, um einen anderen zu treffen … nun, das wäre höchst unangenehm, Ihr versteht?“
„Ja, natürlich, Mylord.“ Der Mann riss die Augen weit auf, als er die Münze sah, die der Earl spielerisch in die Luft warf. „Kann ich Euch irgendwie behilflich sein?“
„Habt Ihr ein paar Kleidungsstücke, die Ihr mir leihen könnt?“, fragte Heywood. „Schließlich ist meine Schwester nicht die Einzige, die andere an der Nase herumführen kann.“
Seraphina starrte teilnahmslos aus dem Fenster in den Hof des Gasthauses unter ihr. Der grauende Morgen an diesem Oktobertag sah aus wie ihr Inneres: düster und leer. Ihr Gemahl war tot … und trotzdem spürte sie keine Regung im Herzen. Nichts. Aber das lag wohl daran, dass Edmund ihre Gefühle für ihn abgetötet hatte, lange bevor er sie um ein Haar selbst umgebracht hätte.
Sie nahm den Handspiegel vom Tisch und verzog ihr Gesicht bei dem Anblick, den er ihr bot. Auf ihrer blütenweißen Haut zeichneten sich schwarze und blaue Flecke ab. Ihr sonst so glänzendes rotbraunes Haar war stumpf, und über ihren graugrünen Augen lag ein trüber Schleier. Vorsichtig berührte sie eine schwarzrote Schwellung auf der Wange mit den Fingerspitzen und zuckte zusammen.
Da ertönte ein leises Klopfen an der Zimmertür. Schnell legte Seraphina den silbergerahmten Spiegel beiseite und griff nach ihrem Witwenschleier … er war nicht da. „Wartet!“ Die Stimme war scharf vor Schreck, denn sie wollte nicht erkannt werden und wünschte auch nicht, dass man ihre Verletzungen wahrnahm. Es gab genug flinke Zungen, und sie durfte keinesfalls jetzt der Gegenstand von Klatschgeschichten werden.
„Seraphina, ich bin es doch nur!“, ertönte eine sanfte weibliche Stimme.
„Einen Augenblick, Grace.“ Langsam und mühevoll erhob sich Seraphina, um die Tür zu öffnen.
„Ich habe heute Morgen festgestellt, dass dein Gewand und dein Umhang feucht waren, und habe sie in die Küche neben das Feuer hängen lassen.“ Die blondhaarige junge Frau ließ ein Bündel Kleidungsstücke auf das Bett gleiten, während Seraphina die Tür hinter ihr wieder abschloss.
„Ich danke dir“, sagte sie schuldbewusst. Grace war immer so freundlich und so tüchtig. Sie hätte selbst daran denken müssen, dass ihre Sachen auf der Reise feucht geworden waren, aber sie war gestern Abend so müde gewesen. „Du hättest Bess damit beauftragen können.“
„Sie schläft immer noch. Du lässt ihr zu viele
Weitere Kostenlose Bücher