HISTORICAL EXCLUSIV Band 23
schroffen Lachen das Wort ab. „Es schien ja in seinen Augen schon ein Verbrechen zu sein, ein hübsches Kleid zu tragen, im Park spazieren zu reiten ohne seine Erlaubnis oder einem seiner Freunde zuzulächeln!“
Über Grace’ klare blaue Augen zog ein Schatten. „Es war seine Art, von allen größtmögliche Vollkommenheit zu verlangen, und du warst …“
„… weit davon entfernt, eine vollkommene Gattin zu sein.“ Seraphina verzog spöttisch die schön geschwungenen Lippen, als sie diesen Satz für Grace beendete.
„Es steht mir nicht zu, darüber zu richten“, murmelte Grace zurückhaltend. „Aber bei deiner Hochzeit hast du Gehorsam gelobt, und ein Gemahl hat das Recht, seine Frau zu bestrafen, wenn …“
„Recht! Die Peitsche gegen mich zu schwingen? Mir den Rücken mit Striemen zu versehen? Oh, du großer Gott!“ Seraphina konnte die Wut, die in ihr aufwallte, nicht mehr bändigen. „Wie kannst du so etwas sagen, wenn du selbst nie verheiratet warst? Zu der Art, wie er mit mir umging, hatte er keinerlei Recht, und ich hoffe nur, dass er in der Hölle schmort!“
Grace’ Wangen erblassten, und sie schwieg einen Augenblick. Schließlich stieß sie einen tiefen Seufzer aus. „Versuch, ihm zu vergeben. Ein solcher Hass ist Sünde …“
„Wenn ich all der Sünden schuldig bin, deren mich Edmund angeklagt hat, bin ich ohnehin schon zum höllischen Feuer verdammt!“ Seraphina lachte freundlos und zuckte dabei wieder vor Schmerz zusammen. „Da macht eine Sünde mehr oder weniger wohl keinen großen Unterschied mehr.“
„Seraphina!“ Grace holte tief Luft. Ihre Stimme war schmerzerfüllt, und ihr Gesicht sehr weiß. „Du darfst solche Dinge nicht sagen. Sie lassen mich für deine unsterbliche Seele fürchten.“
„Das tut mir leid.“ Seraphina senkte reuevoll den Blick, als sie das Glitzern von Tränen in Grace’ blauen Augen bemerkte. „Du bist die Letzte, der ich zu nahe treten möchte. Nur, wenn du Edmund verteidigst …“
„Wie sollte ich es nicht?“ Grace hob hilflos die Schultern. „Er war mehr ein Bruder für mich als ein Cousin. Er nahm mich in sein Haus auf, während meine Familie mich hätte verhungern lassen.“
„Ja“, stimmte Seraphina zögernd zu. „Manchmal hatte ich den Eindruck, er bedauerte, dass er mit dir so nahe verwandt war und dich nicht an meiner Stelle hatte heiraten können.“
„Das bezweifle ich“, erwiderte Grace nach einem kurzen Zögern abweisend. „Wir waren uns zu ähnlich. Aber nun lass uns nicht mehr über Vergangenes reden. Setz dich und ruh dich aus, während ich deine Zofe wecke und sie beauftrage, das Frühstück zu besorgen.“
„Ich bin nicht hungrig.“
„Unsinn“, entgegnete Grace lebhaft. „Wenn du reisen willst, musst du auch etwas essen. Ich bin nicht lange weg.“
„Wo steckt der Kerl nur? Wie lange dauert es bei ihm, die Pferde anzuschirren?“, schimpfte Bess mit lauter Stimme, während sie neben Seraphina vor dem Wirtshaus wartete. „Und dieser Faulpelz dort drüben neben dem Block zum Aufsitzen ist auch nicht besser. Er dreht schon zehn Minuten an dem Strohseil, und es ist noch keinen Fingerbreit länger geworden. Unentwegt starrt er Euch an! Soll ich hingehen und ihm sagen, dass er das gefälligst unterlassen soll?“
„Ach nein, das macht ja nichts.“ Seraphina stieß die Worte zwischen ihren zusammengepressten Lippen hervor. Ihr Rücken brannte wie Feuer. Dagegen war eine solche Unverschämtheit völlig unbedeutend. Teilnahmslos warf sie einen Blick auf den schlecht gekleideten Mann mit der speckigen Wollmütze und bemerkte dabei beiläufig, dass die Sachen für seine kräftige Gestalt viel zu klein schienen. Sein Gesicht war so schmutzig, dass man keine Einzelheiten erkennen konnte. Doch als er plötzlich von seiner Arbeit aufschaute, war sie tatsächlich etwas verwirrt von der Direktheit, mit der seine goldbraunen Augen ihr mitten ins Gesicht zu spähen schienen. Sie drehte rasch den Kopf weg und war plötzlich sehr froh, dass ihr der schwere Witwenschleier Schutz bot. Bess hatte recht. Der Mann war unverschämt. In diesem Augenblick ratterte die Kutsche aus der Scheune und versperrte dem Burschen die Sicht.
„Das wird aber auch Zeit!“ Bess empfing den Kutscher höchst ungnädig. „Sitzt nicht da oben herum, Mann, sondern steigt ab und greift mit zu … Könnt Ihr nicht sehen, dass sich die Lady kaum auf den Beinen halten kann?“
Seraphina ließ sich von Bess zur Kutsche führen, hielt jedoch
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