Historical Exklusiv Band 06
seine dünnen Lippen. Männer, die sich in diesen Tagen heimlich nach Frankreich schlichen, gingen ein großes Risiko ein. Spencer, der hübsche, arrogante Kerl, würde die Sache seines Königs nie verraten, aber darauf kam es gar nicht an. Alles, was Cromwell brauchte – und Putnam wusste das genau –, war der Anschein von Verrat.
Weiter hatte Putnam mitgeteilt, dass Spencer viel zu milde mit einem Schmuggler umgehe, den er, dank seiner – Putnams – Unterstützung gefangen nehmen konnte, weil der Häftling der frühere Liebhaber der Weibsperson war! Es muss eine außergewöhnliche Frau sein, dachte Cromwell, wenn ihr das gelungen ist, denn im Allgemeinen sind Männer nur allzu bereit, ihre Vorgänger loszuwerden. Früher hatte es Spencer genügt, sich die Mädchen zu nehmen und dann wieder sitzen zu lassen, aber diese hier musste ihre Klauen ziemlich tief in sein zähes Fell geschlagen haben.
In Frankreich – Cromwell kehrte zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zurück. Er hatte sich so bemüht, die Feindschaft mit Frankreich zu schüren, und die bevorstehende Heirat des Königs mit einer Protestantin würde auf ihre Weise seinen Einfluss noch steigern. Die Braut sollte um die Weihnachtszeit an der Küste von Kent an Land gehen. Cromwell schäumte jetzt schon vor Wut, wenn er daran dachte, dass Spencer, des Königs Günstling, die Frau, die bald Königin in England sein würde, in seiner neuen Festung begrüßen durfte. Er, Cromwell, war es doch gewesen, der die Gefühle seines Souveräns so lange beeinflusst hatte, bis er sein Herz für Anna von Cleve öffnete. Nach dem endlosen Desaster mit Anne Boleyn und dem Tod der schwächlichen Königin Jane war Seine Majestät so ungebärdig wie ein junger Hengst bei seiner ersten Begegnung mit einer Stute.
"Mylord, der nächste Bericht." Lawrence, sein Sekretär, legte ein neues Schreiben vor Cromwell auf den Tisch.
Der Großkämmerer überflog es, während er sich immer noch mit den Schlussfolgerungen aus Putnams Brief beschäftigte. Ja, ihm wäre nichts lieber, als wieder einen königlichen Ratgeber loszuwerden, so wie er Kardinal Wolsey losgeworden war und den raubgierigen Clan der Boleyns und Norfolks. Sicherlich würde es mit Putnams Hilfe möglich sein, einen Plan auszuhecken, wie man Spencer geheimer Verbindungen mit den Franzosen gegenüber Seiner Majestät verdächtigen konnte! Viele neidische Höflinge würden sich über Spencers Sturz freuen, wenn auch nicht ganz so viele wie über meinen eigenen, dachte Cromwell selbstgefällig.
"Nun, wir werden sehen, wir werden sehen", murmelte er. Obwohl ihn Putnams kriecherische Schmeicheleien in der Vergangenheit mehr geärgert als amüsiert hatten, konnte man mit seiner Beihilfe Spencer vielleicht doch erledigen und zudem noch selbst in der Gunst des Königs steigen durch die Vernichtung der Schmuggler. Schließlich war alles, was ein Engländer in diesen Tagen in Frankreich trieb, als Verrat auszulegen!
"Lawrence, kommt her und nehmt einen Brief auf", befahl Cromwell. Er schob den Stapel Papiere beiseite und nahm sich Putnams Schreiben noch einmal vor. Dann begann er zu diktieren:
"An den königlichen Zoll und Steuereinnehmer, Percival Putnam, in Sandwich, Kent. Der Inhalt dieses Sendschreibens ist geheim zu halten, bis die Zeit unmittelbar nach Weihnachten reif dafür ist. Zu diesem Zeitpunkt wird die neue Königin sicher unsere Küste erreicht haben, vermählt und in das königliche Ehebett geleitet worden sein. Bis dahin erhaltet Ihr folgende Anweisungen …"
Nick hatte nach Hampton Court an den König geschrieben, um ihm mitzuteilen, dass er geehrt und hocherfreut sei, ein Ansuchen des Königs zu erfüllen, das gleichzeitig eine persönliche Gunst darstellte. Als Lord Lieutenant der Veste Deal werde er die künftige Königin willkommen heißen und sie zu Seiner Majestät in den Palast von Greenwich begleiten, wenn sie im nächsten Monat zur Zeit des Christfestes hier eintraf. Zwischen den Zeilen des königlichen Schreibens hatte Nick wahrgenommen, dass der König ein sehr ungeduldiger Bräutigam war, ungeachtet der Tatsache, dass es sich bereits um seine vierte Hochzeit handelte. So hatte er den König weiterhin wissen lassen, dass die Burg nahezu fertig gestellt sein werde, wenn Anna von Cleve in Kent an Land ging, und versicherte ihm darüber hinaus, dass bis dahin auch der Schmuggel eingedämmt sei.
"Das muss mir gelingen!" murmelte Nick, als er in seinem engen, kühlen Quartier auf
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