Historical Exklusiv Band 06
Antlitz seiner Verlobten geworfen zu haben. Holbeins Porträt werde ihr nicht gerecht, meint er! Ist Prinzessin Anna in ihrem Gemach? Es soll nämlich eine Überraschung ihres Zukünftigen für sie werden, wisst Ihr."
"Eine Überraschung? Ja, sie ist drin, aber …"
"Gut, gut." Sir Anthony drehte sich um und winkte lebhaft in Richtung des Doppelportals.
Wie zwei etwas bejahrte und beleibte Schulbuben, die gerade dabei sind, den Unterricht zu schwänzen, betraten Lord John Russell und der König lachend und sich mit den Ellenbogen anstoßend die Halle. Ohne Gefolge und ohne die geringste Vorankündigung! wunderte sich Nick im Stillen. Wenn sie jetzt dort hineinplatzten und die Prinzessin erblickten … Und wenn dann noch Rosalind mit ihren Vorwürfen auftrat und sich ungebührlich dem König gegenüber benahm …
Nick begrüßte den Herrscher mit einer tiefen Verbeugung.
"Nick, mein Guter! Ich danke dir, dass du meine Braut sicher hierher gebracht hast. Der König ist in Herzenssachen eben auch nur ein Mann." Heinrich VIII. dämpfte seine dröhnende Stimme etwas und winkte Nick näher heran. "Du hast sie doch gesehen. Was hältst du von ihr?"
"Die Prinzessin ist schwer zu beschreiben … sie hat eine beschwerliche Seereise hinter sich und einen langen, anstrengenden Ritt in Hagel und Sturm", versuchte Nick, sich aus der Schlinge zu ziehen. "Der Bräutigam sieht seine Angebetete mit den Augen der Liebe, sagt man, Euer Majestät."
"So ist es", sagte Heinrich VIII. lachend und hieb Nick derb auf die Schulter. "Ich konnte keinen Augenblick länger mehr damit warten, mein liebreizendes Eigentum in Augenschein zu nehmen! Komm mit, Nick. Sir Anthony, öffnet die Tür …"
Nicks Herz klopfte ziemlich heftig, als der König nickte und Sir Anthony daraufhin die Tür zum Gemach der Prinzessin, wo auch Rosalind sein musste, weit aufstieß.
"Nur ein bescheidener Besucher, ein demütiger, erwartungsvoller Besucher", erklärte der König den beiden Hofdamen, die ihn erkannten und in einen tiefen Knicks versanken.
Nun, dachte Nick, soll sich derjenige, der dem König erzählt hat, seine Braut sei eine reizvolle junge Dame, auf den wohlverdienten Anschnauzer gefasst machen! Er versuchte, sich an der Seite des Königs zu halten.
Rosalind hörte offensichtlich gerade angestrengt zu, was Prinzessin Anna ihr erzählte, nachdem man die Braut für die Nacht zurechtgemacht hatte. Nach wie vor trug Rosalind ihr einziges gutes Samtgewand, dessen leuchtende Farbe ihr Haar wie Gold erglänzen ließ. Sie war barhäuptig, und die blonden Strähnen fielen ihr lose über die Schultern. Noch nie hatte Nick seine Geliebte so verführerisch gefunden, wenn er sie im Augenblick auch am liebsten mit seinen eigenen Händen erwürgt hätte. Prinzessin Anna saß auf einem Lehnstuhl und blickte zu ihr hoch.
Als sich in dem Raum plötzlich Stille ausbreitete, wandte sich Rosalind mitten im Satz um und erblickte Nick und die anderen Männer. Sie riss die Augen auf, und Nick überlegte, ob sie den König erkannte und was wohl in ihrem flinken Köpfchen so vorgehen mochte beim Anblick des Monarchen. Aber vielleicht wusste sie gar nicht, dass der König vor ihr stand. Prinzessin Anna sah aus, als wäre sie auf ihrem Sitz festgewachsen. Ihre strohblonden Locken sahen unter der Nachthaube hervor. Alle anderen Frauen im Raum verharrten in ihrer Verneigung mit Ausnahme von Rosalind, die wortlos von einem der Männer zum anderen blickte.
"Seine Majestät, der König!" murmelte Nick und machte eine abwärts weisende Bewegung mit dem Kopf. Konnte denn dieses Bauernmädchen nicht einmal einen Knicks machen?
"Nein, Nick", hob Heinrich an, "dieses Muster an Schönheit soll sich nicht vor dem künftigen Ehegemahl verneigen! Ich als ihr geringer Freiersmann muss meine Reverenz vor ihr machen und dabei hoffen, dass bald die Worte: 'Ich liebe Euch, mein Gemahl' von ihren zärtlichen Lippen kommen werden."
Bevor ihn Nick daran hindern konnte, ließ sich der König von England vor der in wortloser Überraschung verharrenden Rosalind auf ein Knie nieder.
Nick erkannte entsetzt, dass dieser Irrtum alles noch schlimmer machen konnte. Er witterte förmlich das Unheil. Irgendwie musste er versuchen zu retten, was zu retten war. "Wie geschickt von Euch, Euer Majestät", sagte er und legte die Hand auf die gewaltig wattierte Schulter des Königs. "Ihr wollt Eure Braut nicht aus der Fassung bringen und gebt ihr Zeit, zu sich zu kommen. Dies ist, wie Ihr natürlich wisst,
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