Historical Exklusiv Band 36
nahm einen Pfeil aus dem Köcher, spannte seinen Bogen und hob die Waffe. „Macht Euch bereit, seinen Angriff abzuwehren! Auf Befehl Seiner Lordschaft darf er nicht eingelassen werden!“
„Ruft Lady St. Aubin! Sie muss Ihre Zustimmung oder Ablehnung geben!“, rief ein anderer.
Genevra hatte den Aufruhr gehört und war in den Burghof gelaufen.
„Was gibt es?“, fragte sie den Captain der Wache, der gerade eiligen Schrittes aus dem Turm trat.
„Ich finde es sofort heraus, Mylady“, keuchte er und eilte die Stufen zum Torhaus empor.
Genevra sah, dass es zu lange dauern könnte, wenn er erst emporstieg, Fragen stellte, sich selbst einen Überblick verschaffte und dann wieder herunterkäme, um ihr Bericht zu erstatten. Sie entschloss sich also, hinter ihm die Treppen selbst zu erklimmen.
Als sie das Dach erreichte, um zwischen den Zinnen einen Blick auf die Herankommenden zu werfen, hatte die Wache sie bereits erkannt.
„Sie führen beide Wappen, Mylady. Lord St. Aubins und jenes von Sir Drogo“, sagte man ihr.
Es schien keine Sonne. Genevra blickte in die Ferne und strengte ihre Augen an, um Robert zu erkennen, wenn er es wirklich war, der da kam.
„Ich sagte es Euch doch!“, rief nun einer der Männer, der mit ihnen aus Merlinscrag gekommen war und den Priester besser kannte als die anderen. „Es ist Father John!“
„Wer aber ist dann in der Sänfte?“, fragte der Captain.
Genevra betrachtete die herannahende Gruppe, konnte aber niemanden sehen, der die leuchtende Kleidung trug, die Sir Drogo bevorzugte. Und doch flog sein Banner voran.
„Sir Drogo, wahrscheinlich“, sprach sie ruhig. „Ich werde hinabsteigen, um den Tross auf der anderen Seite der Brücke am Wachtturm zu erwarten. Wenn er wirklich krank ist, dann können wir ihm den Zutritt nicht verwehren. Ihr, Captain, werdet mittlerweile drei Leute abstellen, die ihn unter ständiger Bewachung halten, bis wir sicher sein können, dass er kein Unheil anrichten will.“
Als sie die Treppen hinabstieg, erinnerte sie sich an die großartige Ankunft Drogos in Merlinscrag. War dieses unterwürfige Erscheinen nun eine List, um sich Einlass zu verschaffen? Warum nur, warum kam Drogo wieder, während Robert abwesend war? Es schien, als wiederholte sich die Geschichte, abgesehen davon, dass die Botschaft aus Ardingstone ohne Frage echt gewesen war. Drogo hätte gewiss keine Skrupel, Roberts Abwesenheit zu seinen Gunsten auszunutzen …
Sie trug die Verantwortung. Jedoch schien Drogo in Begleitung von Father John zu kommen, der über die Ereignisse in Merlinscrag Bescheid wusste. Wenn Drogo in der Sänfte war, war er vielleicht wirklich krank oder verletzt.
Auf jeden Fall sollte aber Ihre Ladyschaft imstande sein, ihren jüngeren Sohn in Schach zu halten. Man musste sie verständigen.
Genevra sandte einen Boten zur Lady, sobald sie wieder den Innenhof betrat. Dann schritt sie durch das Haupttor, folgte dem Reitweg und ging über die Brücke zum Wachtturm. Sie vermisste die beruhigende Gegenwart von Alan of Harden, hatte aber zwei kräftige Bogenschützen an ihrer Seite.
Father John führte die Prozession an und glitt von seinem erschöpften Pferd, als er sie erreichte.
„Gott zum Gruß, Father. Ihr bringt Sir Drogo mit Euch?“
Ehrerbietig grüßte er sie. „Mylady! Ich traf Sir Drogo und sein Gefolge auf meinem Heimweg, und da er, wie ich glaube, tödlich verwundet ist, hielt ich es für meine Pflicht, ihn hierher zu bringen, wo er, von seiner Familie umgeben, gepflegt werden kann.“
Die Sänfte hatte man zwischen zwei Maultiere gespannt, und die Männer, die die Tiere geführt hatten, brachten sie nun nach vorne. Genevra hob den Baldachin an und warf einen Blick auf Drogo. Sein Gesicht war eingefallen und bleich, nur rote Fieberflecken brannten auf seinen Wangen. Schweiß stand auf seiner Stirn. Er bewegte sich unruhig, doch war er ohne Bewusstsein. Es gab keinen Zweifel, dass sein Zustand ernst war, vor allem, da Father John sich dafür verbürgte.
Sie trat zurück. „Nun denn. Man bringe ihn hinein, damit seine Mutter ihn pflegen kann. Nicht jedoch seine Eskorte. Sie sollen zu seinem Lehenssitz zurückkehren und dort auf Nachrichten und weitere Befehle warten. Wer hat das Kommando?“
Ein kräftiger Mann trat angriffslustig vor und stieß Father John zur Seite. „Ich, Mylady. Wir werden unseren Herrn jedoch nicht ohne Schutz lassen!“
„Warum nicht?“, wollte Genevra wissen. „Denkt Ihr, Sir Drogos Mutter könnte erlauben,
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