Historical Exklusiv Band 42
anblickte.
„Keine Ursache, Miss Grey. Sie wünschen natürlich, sich sofort von diesem Gewerbe zu distanzieren. Ich habe hier Ihren ausstehenden Lohn.“ Sie griff nach einem Umschlag, wobei sich eine feine Röte über ihren Hals legte.
„Um Himmels willen, nein“, protestierte Talitha. „Ich habe Sie doch nicht einmal vorgewarnt. Das kann ich nicht annehmen.“
„Wie Sie wünschen, Madam.“
Talitha blinzelte. Hatte ihre frühere Arbeitgeberin sie gerade „Madam“ genannt? „Die Hüte, an denen ich gerade arbeite …“
„Sarah wird sie fertig machen, Miss Grey.“ Unbehagliches Schweigen entstand. „Es tut mir natürlich leid, Lady Parry als Kundin zu verlieren, aber …“
„Warum sollten Sie?“ Talitha war vollkommen verwirrt.
„Ich habe es so verstanden, dass Sie bei Lady Parry wohnen, Miss Grey, und natürlich angenommen …“
„Ach du lieber Himmel, nein!“ Ihr wurde klar, dass Madame d’Aunay davon ausgehen musste, dass sie die Hüte für ihre Gönnerin von nun an in aller Stille selbst machen würde. „Natürlich, wenn Lady Parry eine kleine Änderung am Besatz nötig hat oder Ähnliches … ansonsten bin ich sicher, dass sie auch weiterhin ihre Hüte bei Ihnen beziehen wird.“
„Aha.“ Ihre frühere Arbeitgeberin machte einen eher noch unbehaglicheren Eindruck. „Sie haben, glaube ich, in dieser Ballsaison Ihr Debüt, nicht wahr, Miss Grey?“
„Das ist richtig, und ich werde einige Hüte benötigen …“
„Wie schade, dass dieses Geschäft nur Hüte fertigt, die für die ältere Dame gedacht sind“, erklärte Madame ausdruckslos.
„Aber …“ Talitha bemühte sich in aller Eile, sich einen Reim auf alles zu machen. Plötzlich war sie Madame also peinlich: weder feine Dame noch Angestellte, sondern jemand, der sich als Bürde entpuppen konnte, falls es bei ihrem Debüt zu einem Skandal käme. Die Damen der Gesellschaft konnten Anstoß nehmen an der Tatsache, dass eine von Madame d’Aunays Künstlerinnen die Vermessenheit besaß, sich über ihren Stand zu erheben.
Sie warf einen Blick durch die Tür in den Arbeitsraum. „Die Mädchen sind sehr beschäftigt, Miss Grey“, beeilte Madame ihr zu versichern.
„Da bin ich sicher, Madame.“ Talitha stand auf. „Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mir eine Chance gegeben haben, als ich sie so dringend gebraucht habe, ich werde Ihnen dies nicht vergessen. Bitte seien Sie versichert, dass ich Lady Parry in keinster Weise davon abhalten werde, ihre Hüte weiterhin von Ihnen zu beziehen.“
Mit hoch erhobenem Kopf eilte sie zur Tür hinaus, ohne abzuwarten, ob Madame erneut knickste oder nicht. Sobald sie draußen vor dem Geschäft auf der Straße stand, zögerte sie. Sie war sich unsicher, welche Richtung sie auf der belebten Straße einschlagen sollte oder was sie als Nächstes tun sollte.
Wut, Trauer und Unsicherheit mischten sich in ihr. Würde es mit jedem, dem sie in ihrem neuen Leben begegnete, so schwierig werden?
„Miss Grey, guten Tag.“ Die fröhliche Stimme an ihrer Seite riss sie aus ihrer Grübelei. Ihr wurde mit einem Mal bewusst, dass sie mitten auf dem Gehweg stand. Die Leute mussten einen Bogen um sie machen.
„Lord Parry. Verzeihung, ich war in Gedanken.“ Mühsam riss Talitha sich zusammen und brachte ein Lächeln zustande. William blickte sie mit so ungekünstelter Freude an, dass sie unwillkürlich an einen großen Hundewelpen denken musste. Er sah schmerzlich jung aus, näherte sich aber augenscheinlich gerade mit großen Schritten der Phase des Erwachsenwerdens, in dem junge Damen ein geheimnisvolles, aber unwiderstehliches Mysterium darstellten.
„Darf ich Sie irgendwohin begleiten?“
„Nein, danke, ich wollte gerade nach … nach Hause gehen.“ Das wäre wohl wirklich das Beste. In ihrem verwirrten Zustand war ihr nicht mehr nach einem Schaufensterbummel zumute.
„Das ist aber ein weiter Weg, oder nicht? Lassen Sie mich eine Droschke rufen.“
„Ich … nein … vielen Dank. Ich bin lieber an der frischen Luft.“
Zu ihrem Erstaunen, denn Talithas Erfahrung nach waren junge Männer meist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich viel um die Gefühle anderer zu kümmern, warf William ihr einen scharfen Blick zu, steckte sich ihre Hand fest unter den Arm und führte sie die Berkeley Street entlang.
„Fühlen Sie sich nicht ganz wohl, Miss Grey? Machen Sie sich nichts daraus, ich weiß genau das richtige Mittel dafür.“
„Was denn, Mylord?“ Halb belustigt trotz ihrer
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