Historical Gold Band 251
gekannt hätte, hätte sie jetzt gesagt, ihr Bruder übertreibe, ja lüge vielleicht sogar. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Mark absichtlich jemandem den Arm brach. Körperlich wäre er dazu durchaus in der Lage, aber geistig? Moralisch?
„Ich mache dir keinen Vorwurf“, sagte ihr Bruder leise. „Schließlich bin ich auch einmal auf die Turners hereingefallen. Einst habe ich gedacht, Mark wäre ruhig und nett.“ Er schüttelte den Kopf. „Und was Smite angeht …“ Richard krallte sich an dem Lederriemen fest, der vom Kutschendach hing. „Wenn du je einen Menschen so richtig hassen willst“, sagte er schließlich, „freunde dich erst mit ihm an. Das wirkt Wunder.“
„Ich habe ihn aber schon kennengelernt“, sagte Margaret.
Ihr Bruder richtete sich auf. „Wirklich? Was hältst du von ihm?“
„Harsch“, erwiderte Margaret. „Harsch, aber gerecht.“
Richard schüttelte den Kopf. „Warte ab, bis er einmal über dich zu Gericht sitzt. Er kennt keinerlei Gnade. Im Verein mit dem Talent seines großen Bruders, die Welt auf den Kopf zu stellen …“ Richard seufzte. „Nach der Rauferei habe ich mit dem Rektor gesprochen und ihn dazu überredet, Mark von der Schule zu werfen, sobald der Junge wieder gehen kann. Aber dann kam Turner keine vierundzwanzig Stunden später angereist und hat seinen Zauber gewirkt. Ich weiß immer noch nicht, wie er so schnell eintreffen konnte. Er konnte noch gar nicht von dem Zwischenfall wissen. Die ganze Sache muss irgendwie abgekartet gewesen sein. Und als er wieder abfuhr, hat der Rektor gelächelt, und der jüngste Turner durfte auf der Schule bleiben.“ Richard schüttelte den Kopf. „Schon damals schien sich alles, was er berührte, auf seine Seite zu stellen. Damals kam er mir uralt vor. Aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, war er noch nicht einmal richtig erwachsen.“
Von einer Kleinigkeit wie seinem Alter hätte Ash sich niemals aufhalten lassen. Das Einzige an der Geschichte, was Margaret glaubwürdig fand, war der Umstand, dass Ash seinem Bruder zu Hilfe geeilt war. Aber wie hätte alles andere falsch sein können? Sie vermochte sich nicht vorzustellen, dass Richard versucht hatte, Mark wegen irgendeiner Banalität von der Schule weisen zu lassen. Richard war in Gedanken meist anderswo, aber wenn er einmal zuhörte, war er erstaunlich gerecht.
„Vielleicht war alles nur ein großes Missverständnis“, meinte Margaret.
Richard sah sie an und stieß einen Seufzer aus. „Margaret, Missverständnisse brechen einem nicht den Arm. Missverständnisse reichen nicht Klage vor einem Kirchengericht ein, um die Abkömmlinge eines Herzogs für unehelich erklären zu lassen. Missverständnisse holen sich keinen Gerichtsbeschluss, der ihnen gestattet, den Wert eines Besitzes zu katalogisieren, damit der angeblich nicht vertrauenswürdige Nachwuchs sein erschlichenes Erbe intakt übergibt. Ich weiß, dass Ash Turner dich völlig um den Finger gewickelt hat. Aber er benutzt dich nur. Je eher du das begreifst, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir uns durchsetzen. Das hier ist kein Missverständnis, Margaret. Es ist ein Krieg.“
19. KAPITEL
London, November 1837
L ondon sah anders aus, als Margaret es in Erinnerung hatte.
Damals waren die Neuigkeiten viel zu schnell auf sie eingestürmt, sie hatte sie gar nicht richtig erfassen können. Die Klage vor dem Kirchengericht. Ihre Illegitimität. Die Auflösung ihrer Verlobung, der Tod ihrer Mutter und der plötzliche, unerklärliche Ausbruch der Krankheit ihres Vaters. In der Zeit hatte sie sich kaum aufrecht halten können. Und als sich die Frauen, die sie ihr Leben lang als Freundinnen betrachtet hatte, geschlossen von ihr abwandten, hatte sie aufgegeben. Sie war nach Parford Manor geflohen und hatte ihre Verwirrung, ihren Schmerz begraben in der Sorge um den kranken Vater.
Die Jahreszeiten hatten zu der Veränderung das ihre beigetragen. Statt Dunkelgrau, neblig, regnerisch und von Kohlenstaub überzogen, war die Stadt nun hellgrau, neblig, regnerisch und von Kohlenstaub überzogen. Die Blumen, die auf der Straße verkauft wurden, waren nun andere; die Obstverkäuferinnen auf der Straße hatten ein paar Körbe mit Beeren anzubieten und Säcke voll verschrumpelter Äpfel.
Die größte Veränderung war jedoch nicht auf das Wetter oder das Warenangebot zurückzuführen. Es war etwas, das Margaret tief im Innersten mitbrachte. London sah anders aus, wenn man herkam, um zu kämpfen. Im Verlauf der
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