HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
wenig frische Luft zu bekommen, doch das war unmöglich. Der abartige Gestank war überall und raubte ihm die Lebenskraft.
Er hob den Kopf, um einen einzelnen Lichtstrahl durch die winzige Öffnung, die hoch oben in die Wand eingelassen war, zu erhaschen. Aber es war unmöglich, zu erkennen, ob es Tag oder Nacht war. Und welche Bedeutung hatte diese Frage überhaupt noch? Die Tage und Nächte waren für Kane eine schier endlose Kette von Quälereien.
Er ballte die Hände zu Fäusten und stieß einen heiseren Schrei aus. Durch dieses Geräusch erwachte er und öffnete die Augen. Vor sich sah er das Gesicht eines Engels, der ihn aufmerksam betrachtete.
„Beth!“ Seine Kehle war wie ausgetrocknet, seine Lippen waren spröde und aufgesprungen. Er fuhr sich mit der Zunge darüber, um sie anzufeuchten, und versuchte noch einmal zu sprechen. „Bethany, wo sind wir?“
„In einer Kammer im Wirtshaus.“
„Ach so.“ Kane schaute sich um und genoss das Gefühl der kühlen Decke an seinem Körper. Das Fenster stand weit offen, sodass die frische Seeluft ungehindert hereinströmen konnte. In der Brise, die den Duft nach Hafen und Meer mit sich in den Raum hereintrug, blähten sich die Vorhänge, und Kane atmete tief und dankbar ein und aus.
Jetzt erst fühlte er etwas Weiches an der Hand und blickte nach unten. Sein Hund Storm lag neben ihm im Bett und stupste mit der Nase immer wieder Kanes Hand an. Er wollte gestreichelt werden, und erst als sein Herrchen ihm den Wunsch erfüllte, wedelte er glücklich mit der Rute.
„Du hattest einen bösen Traum“, stellte Bethany fest. Als Kane nickte, fragte sie: „Hast du Schmerzen?“
Wieder erhielt sie ein Kopfnicken als Antwort.
„Ich habe ein starkes Mittel, das dir Erleichterung verschaffen wird.“ Sie stand auf, ging hinüber zum Tisch, goss Wasser aus einem Krug in einen Becher, kehrte an das Bett zurück und hob behutsam Kanes Kopf ein wenig an, damit er trinken konnte.
Er trank ein paar Schlucke und ließ sich erschöpft zurück in die Kissen sinken. „Wie spät ist es?“
„Fast Mittag.“
„Mittag?“ Kane setzte sich wieder auf, bereute die hastige Bewegung jedoch sofort, als sich um ihn herum alles zu drehen schien. Er wartete einen Moment, bis er wieder klar sehen konnte, und erklärte: „Ich muss unbedingt mit den Soldaten des Bürgermeisters von London sprechen, ehe sie die Rückreise antreten.“
„Um ein Geständnis abzulegen?“
„Ja.“ Kane bemerkte sehr wohl, wie sie die Stirn runzelte, und griff nach ihrer Hand. „Hör mir zu, Bethany, es ist wichtig für mich, dass du meine Beweggründe verstehst.“
„Ich verstehe, dass du Oswalds Worten Glauben schenkst. Du denkst, du seiest deines Reichtums und deines Titels nicht würdig, weil du nicht in jene Gesellschaftsschicht hineingeboren wurdest. Und mit deinem Geständnis willst du deine Selbstzweifel ausräumen.“
„Aber Oswald hat die Wahrheit gesagt. Ich bin ein Bastard.“ Kane schaute Storm an, und Bethany verstand die besondere Bindung zwischen ihm und seinem Hund.
„Der Earl of Alsmeeth und seine Frau konnten keine eigenen Kinder haben. So holten sie mich aus dem Waisenhaus und überschütteten mich mit Liebe und all den Dingen, von denen ich kaum jemals zu träumen gewagt hätte. Natürlich war ich mir darüber nicht im Klaren, denn ich war ja noch ein kleines Kind. Das Verständnis kam erst später, als mein Vater mich über meine Vergangenheit aufklärte.“ Kane atmete tief durch. Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer.
„Endlich verstand ich so vieles an mir selbst, was mir bis dahin ein Rätsel gewesen war. Diese Anflüge von Wildheit und der Drang nach Unabhängigkeit in mir bedeuteten, dass ich niemals wirklich der werden konnte, den sie sich wünschten. Ich war und bin kein Gentleman, Bethany. Ich ritt nachts aus, gekleidet wie ein Gesetzloser, und erleichterte reiche Damen und Herren um ihre Wertsachen.“
„Und gabst sie ihnen zurück auf eine Art und Weise, bei der sie nicht nur ihr Eigentum wiederbekamen, sondern bei der sie auch die Gelegenheit hatten zu sehen, wie andere Menschen, mit denen es das Schicksal weniger gut gemeint hatte, lebten.“
Kane seufzte. „Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass ich gestohlen habe, ein gemeiner Dieb war. Ich habe kein Recht, den Titel eines Earls zu führen.“
„Hast du denn keinerlei Sehnsüchte? Was ist mit deinem Wunsch, frei zu sein?“
„Doch, Bethany“, erwiderte er. „Mehr als alles andere wünschte
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