Historical Lords & Ladies Band 38
Albtraum nicht unbedingt noch tagsüber durchleben. Außerdem konnte sie ihm nicht von Amy erzählen. Sie brauchte einen anderen Anknüpfungspunkt.
Plötzlich hatte sie eine Idee. „Die Ehe ist, wie Sie schon sagten, eine sehr delikate Angelegenheit“, begann sie vorsichtig, „und meine Einstellung dazu wurde geprägt, als ich noch sehr jung war, Mylord, als meine Eltern noch lebten.“
„Ihrem Tonfall entnehme ich, Miss Lynley, dass es keine glückliche Verbindung war.“
„So könnte man es beschreiben, Sir. Mein Vater heiratete erst sehr spät, als sein Leben schon in geordneten Bahnen verlief, und er war daher nicht breit, die Flatterhaftigkeit einer sehr viel jüngeren Frau zu tolerieren, obwohl auch sein Verhalten nicht gerade vorbildlich war.“
„Wenn Sie mit Flatterhaftigkeit das meinen, was ich vermute, dann hat das mit dem Alter oder Verhalten des Ehemannes nichts zu tun.“
Sarah errötete. „Mir ist klar, dass die Gesellschaft mit zweierlei Maß misst, Mylord. Eine Frau muss untadelig leben, während der Ehemann tun kann, was ihm gefällt, ohne Rücksicht auf die Gefühle seiner Gattin. Oder sie wählt einen Partner, der damit einverstanden ist, dass jeder sein eigenes Leben führt, sobald die Frau ihre Pflicht erfüllt und einen Erben geboren hat. Fehlt eine solche Übereinkunft, führt das unweigerlich zu Reibereien, unter denen alle Mitglieder des Haushalts zu leiden haben. Ein solcher Streit war schuld daran, dass mein Vater mit dem Curricle gegen einen Baum fuhr. Meine Eltern waren sofort tot.“
„Das tut mir leid“, murmelte er nachdenklich. „Es war gewiss schmerzlich für Sie …“
„Sie mögen mich für verrückt halten, Mylord, aber ich bleibe lieber allein, als …“
„Miss Lynley!“ Er blieb unvermittelt stehen und legte seine Hände auf ihre Schultern. „Ich würde Sie nie für verrückt halten“, versicherte er sanft. „Gut behütet, unerfahren, das vielleicht.“
„Nicht so gut behütet, als dass ich nicht wüsste, was in der feinen Gesellschaft vor sich geht“, entgegnete Sarah seltsam berührt. „Nur weil Ihre Ehe besonders glücklich war, heißt das nicht …“ Der Druck auf ihren Schultern verstärkte sich. „Es tut mir leid“, flüsterte sie, „ich …“
„Scht.“ Er ließ sie los und strich ihr zart mit dem Finger über die Lippen. Dann nahm er sie bei der Hand und führte sie zu einer Bank in der Nähe des Springbrunnens.
Sarah ließ sich bereitwillig darauf nieder. Sie fragte sich, wie die flüchtige Berührung derartige Gefühlsregungen auslösen konnte. Eine wohlige, prickelnde Wärme durchströmte ihrem Körper, ihr Herz schlug wie wild.
Ravensdene setzte sich neben sie. „Woher wissen Sie, dass ich schon einmal verheiratet war?“
„Von Lady Wribbonhall“, gestand sie errötend. Warum hatte sie den Mund nicht halten können? Sie musste auch jetzt weiterreden, denn eine Frage beschäftigte sie schon lange. „Lady Wribbonhall konnte gut verstehen, dass Sie nicht belästigt werden wollten, Mylord. Sie schien sehr beeindruckt von der Schönheit Ihrer Frau. ‚Engelhaft‘ war, glaube ich, das Wort, das sie verwendete …“
Verlegen biss sie sich auf die Lippen und schaute in Ravensdenes finstere Miene. Sie konnte selbst nicht fassen, was sie getan hatte.
Diesmal bin ich zu weit gegangen, dachte sie. Sie hatte ihn verletzt. Ihr Benehmen war nicht besser, als das von Sophie Sherington. Sie hätte ihn gern um Verzeihung gebeten, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt …
„Ja, Marianne war unvergleichlich schön.“
Sarah stockte der Atem. Er sprach so leise, dass sie im ersten Moment nicht wusste, ob sie richtig gehört hatte.
„Sie war etwas größer als Sie, Miss Lynley, und hellblond“, fuhr er fort, während er die plätschernde Fontäne betrachtete. „Ihr Haar schimmerte, je nach Lichteinfall, fast silbrig; ihr Gesicht und ihre Figur waren perfekt. Es stimmt, sie sah aus wie ein Engel.“
Tränen brannten in Sarahs Augen. Ihr war klar, dass Ravensdene sein Herz mit dem schönen Engel, der seine Frau gewesen war, begraben hatte.
„Es tut mir leid.“ Sie lächelte zaghaft. „Ich weiß, wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren.“
„Ihre Schwester?“
Sarah nickte und beschloss, Ravensdene die Wahrheit, oder zumindest einen Teil davon, zu erzählen. „Wie konnten wir nur so vom Thema abschweifen, Mylord? Ich habe versucht, Ihnen zu erklären, weshalb nicht Sie es sind, vor dem ich mich fürchte. Es ist dieser
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