Historical Lords & Ladies Band 38
Woher wusste sie das? „Ist Mr Dickson mit uns gekommen?“, wagte sie zu fragen.
John schüttelte den Kopf. „Nein. Man muss gerecht sein. Da ich dir Stroody genommen habe, war es nur gerecht, dass ich auf Dickie verzichte. Er ist zu Freunden in Shoreditch zu Besuch gefahren. Er kommt zurück, wenn wir wieder in Devereux House sind.“
„Hast du in Shoreditch gewohnt?“ Es tat Cassie leid, dass sie den Eindruck erweckte, John so verzweifelt auszufragen, aber sie hatte das keineswegs unnatürliche Bedürfnis, alles über ihn zu wissen und herauszufinden, was ihn aus dem hübschen Jungen in den strengen, eindrucksvoll aussehenden Mann verwandelt hatte.
Sein Lächeln war seltsam. Er erinnerte sich, dass Dickie sie gerissen genannt hatte. „Solche Fragen“, antwortete er. „Und alle sind so gnadenlos bohrend.“
„Du weißt alles über mich“, erwiderte sie schlicht. „Ich weiß nichts über dich.“
„Also gut. Ja, ich hatte eine Wohnung in Shoreditch. Und das ist alles, was ich dir sage. Es ist besser so.“
Das dachte Cassie nicht. Sie seufzte leise und lehnte sich zurück. Müdigkeit überkam sie. Sie schloss die Augen. Das Schaukeln der Kutsche, die sie umgebende Wärme, sogar die Gefühle, die Johns Nähe in ihr erzeugten, alles führte dazu, dass sie müde wurde und beinahe einschlief. Warum fühlte sie sich sicher bei ihm, wenn er sie dauernd auf beiläufige Art davor warnte, zu viel über ihn in Erfahrung zu bringen? Denn so interpretierte sie seine Vorsicht, seine Weigerung, sich ihr anzuvertrauen, seine Entschlossenheit, das meiste über ihn müsse ihr ein Geheimnis bleiben, und jedem anderen auch.
Der Schlaf übermannte sie. Und weil sie schlief, legte John den Arm um sie. Er wollte nichts anderes empfinden außer unverbindlicher Freundschaft. Das war sicherer so, denn er empfand nichts anderes für Cassie als eine Art Mitleid für jemanden, der so benachteiligt gewesen war. Warum geschah es dann, dass er, nachdem man Roehampton erreicht und die Kutsche angehalten hatte, sie, die immer noch süß an seiner Brust schlief, auf den Armen über die Schwelle ihres ersten Heimes trug?
„Mylady.“
Jemand schüttelte sie sacht. Wo konnte sie sein? Cassie schlug die Augen auf und starrte auf einen zart geblümten Baldachin. Sie lag in einem großen Himmelbett, immer noch in den Sachen, in denen sie Devereux House verlassen hatte. Langsam erinnerte sie sich. Sie war in einer Kutsche gefahren und hatte mit John geredet; nun war sie hier, in einem fremden Schlafzimmer, und Betty Aston, ihre neue Zofe, weckte sie behutsam. Sie war Lady Devereux, Johns Frau. Alles, was in den letzten sechs Jahren Belang für sie gehabt hatte, war unwichtig geworden. Sie befand sich auf unbekanntem Territorium.
Cassie schwang die Beine vom Bett. John, oder vielleicht ein Lakai, musste sie heraufgetragen haben. Betty zog ihr die Pelisse aus und drängte sie, ihr zu gestatten, ihr beim Umkleiden behilflich zu sein. Es war sonderbar, so bedient zu werden, denn bis zum heutigen Tage hatte sie sich um sich selbst gekümmert. „Das Kind darf nicht denken, sich über seinen Stand erheben zu dürfen“, hatte Miss Strood oft von den Damen Amelia und Constantia gesagt bekommen. Nun, jetzt war Cassie höheren Standes als die beiden. Sie gähnte, während Betty ihr ein Nachthemd aus feinster Seide mit zartem Spitzenbesatz anzog. Es hatte nicht die mindeste Ähnlichkeit mit den einfachen Baumwollnachthemden, die Miss Strood für Cassies Aussteuer für gut befunden hatte.
Betty sah die Countess überrascht das Nachtgewand anschauen und sagte so respektvoll wie möglich: „Das hat Mylord für Sie bestellt, Madam.“
„Aber noch ist es doch nicht Zeit, sich zurückzuziehen“, wandte Cassie ein wenig eingeschüchtert und gleichzeitig ein wenig erwartungsvoll ein. Er hatte gesagt, dass sie nicht wirklich seine Gattin sein würde. Warum also hatte er ihr dieses sündhaft aussehende Nachthemd geschenkt?
„Es ist nach zehn Uhr, Madam. Seit Mylord Sie heraufgebracht hat, haben Sie tief und fest geschlafen. Sehen Sie!“ Betty zog die schweren Brokatfenstervorhänge fort, damit Ihre Ladyschaft den abnehmenden Mond am Nachthimmel sehen konnte.
John hatte sie also heraufgetragen. Bedeutete das etwas oder nicht? Ein Imbiss stand auf einem Tablett bereit, das auf den kleinen Tisch dem Bett gegenüber hingestellt worden war, und Wein in einer Flasche, dazu ein Kristallglas zum Trinken. Cassie stärkte sich und trank mit großem
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