Historical Lords & Ladies Band 38
Dann läutete sie, und bald darauf trat ein hübsches junges Hausmädchen ein. „Bitte servieren Sie jetzt den Tee“, befahl sie so kühl, als hätte sie ihr Leben lang diesen Ton angeschlagen. John setzte sich an den Schreibtisch und begann, die Dokumente zu lesen, als hinge sein Leben davon ab. Nachdem der Teewagen hereingeschoben worden war, ging er zu dem großen, auf der anderen Seite des Kamins stehenden Sessel. Der Kamin war leer, doch jemand hatte eine große chinesische Vase mit einem Strauß früher Sommerblumen davorgestellt.
John und Cassie saßen eine Weile gemütlich beisammen, als seien sie seit Jahren verheiratet, ehe er sagte: „Ich hoffe, du warst nicht zu einsam. Es tut mir leid, dass ich den Anschein erwecke, dich zu vernachlässigen, aber Mr Herriot hat mir die Abrechnungen aus Coverham zugestellt. Ich habe angefangen, sie durchzusehen, und erst später gemerkt, welche Aufgabe ich mir aufgehalst habe. Leider scheinen meine Schwestern mit ihrer Ablehnung des dortigen Verwalters recht zu haben. Er hat den Besitz vollkommen ausgeraubt. Es sieht danach aus, dass ich für Coverham einen neuen Verwalter einstellen muss, und ebenso einen neuen Privatsekretär. Mr Sedgeby, der Sekretär meines Vaters, ist zu alt und zu achtlos geworden, aber er kann noch ein Weilchen bleiben, um seinen Nachfolger einzuarbeiten.“
Cassie seufzte. In Bezug auf Mr Sedgeby war sie einer Meinung mit John, aber sie mochte den höflichen alten Mann, der im Dienst der Familie des Earl of Devereux ergraut war. „Und was soll aus ihm werden?“
„Er bekommt eine Pension und, wenn er das will, in Coverham ein Cottage. Dort kann er die Bibliothek benutzen. Ich habe gehört, dass er ein großes Werk über Yorkshire zur Zeit der Angelsachsen schreiben will. Nun wird er Zeit genug haben, es zu verfassen, ehe er zu alt dafür ist.“ John bemerkte die erleichterte Miene der Gattin und furchte die Stirn. „Du hast doch hoffentlich nicht angenommen, dass ich den alten Mann auf die Straße setzen würde?“
Jeder hatte sich darüber ausgelassen, wie herzlos John sei, aber es hatte den Anschein, dass alle sich getäuscht hatten. Cassie erinnerte sich, dass vor Jahren sein Bruder Philip den Vater gedrängt hatte, Mr Sedgeby zu entlassen, weil er nicht mehr zuverlässig war, doch der Earl hatte erwidert: „Ich will, dass er und ich gemeinsam alt werden.“
Mit undurchdringlicher Miene beobachtete John die Gattin.
Sie glaubte, sie habe ihn vielleicht gekränkt, weil sie den Eindruck erweckt hatte, sie habe angenommen, er könne Mr Sedgeby vor die Tür setzen. Um das Thema zu wechseln, fragte sie so ungekünstelt wie möglich: „Kann ich, da ich jetzt Countess bin, Stunden bei jemandem nehmen, der mich Harfe spielen lehrt?“
„Harfe!“ Dieser Vorschlag diente gewiss dazu, ihn von der Enthüllung, welch schlechte Meinung die Verwandten von ihm hatten, abzulenken. „Warum Harfe?“
Cassie hatte mehreren Konzerten beigewohnt, bei denen eine Harfenistin berückend hübsche Weisen gespielt hatte. Mr Maxwell junior hatte ihr einmal gesagt, sie habe schöne Arme, vielleicht deswegen, wie sie damals gedacht hatte, weil sie nichts anderes Schönes an sich hatte. Falls sie wirklich schön waren, war Harfespiel der beste Weg, sie zur Geltung zu bringen. „Ja, Harfe. Ich glaube, sowohl in Coverham als auch in Devereux House gibt es Harfen.“
Einen Moment lang herrschte Schweigen, und dann sagte John tonlos: „Ja, sie gehörten meiner Mutter.“
Cassie fiel auf, dass er mehrmals über seinen Vater geredet hatte, aber nie über die Mutter. Falls man sich auf das Porträt verlassen konnte, war sie eine schöne Frau gewesen, doch abgesehen von ihrem Sohn Philip, der ihr etwas glich, ähnelte ihr keines ihrer Kinder.
„Spielst du ein anderes Instrument?“, fragte John. „Ich glaube, das wäre hilfreich für dich, wenn du die Harfe beherrschen willst. Wenn wir nach Devereux House zurückgekehrt sind, werde ich mich bemühen, einen Lehrer für dich zu finden.“
Also hatte die Tatsache, eine Countess zu sein, auch angenehme Seiten. Es gab andere Dinge, die sie tun wollte, aber sie hatte nicht die Absicht, John davon zu erzählen. Sie fand, er habe es verdient, ein wenig überrascht zu werden. Bisher hatte er bei allen ihren Begegnungen den Ton angegeben, und es konnte nichts schaden, wenn sie ihm etwas voraus hatte. Offenbar zusammenhanglos fragte sie ihn, nachdem sie ihn informiert hatte, sie könne Klavier spielen, ob er den
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