Historical Lords & Ladies Band 39
erwähnt, dass sie für ihren Vater gearbeitet hatte, ehe dieser es zu Wohlstand brachte. Dennoch war er zutiefst erschüttert. Und gleichzeitig erfüllte ihn eine heiße Wut. Wie hatte Alfred Jewell es zulassen können, dass ein kleines Mädchen – seine eigene Tochter! – solche Qualen aushalten musste? Bei Jupiter, er durfte gar nicht darüber nachdenken, wie Jemima sich wohl gefühlt hatte, wenn sie die erstickende Luft in engen, rußigen Schornsteinen hatte atmen müssen, während ihre Füße von Brand- und Schnittwunden schmerzten!
Er betrachtete Jemima einen Moment lang. Dann legte er sich mitsamt Jemima ins Bett und schloss seine Gattin sanft in die Arme. Sie seufzte im Schlaf und kuschelte sich vertrauensvoll wie ein Kind an ihn. In diesem Moment schwor er sich, alles zu tun, damit ihr nie wieder jemand Schmerzen zufügte.
Jemima erwachte erst, als die Sonne hoch am Himmel stand. Erstaunt stellte sie fest, dass sie sich wieder im Bett befand. Robert musste sie dorthin gelegt haben, ehe er den Raum verlassen hatte.
Sie streckte sich wohlig und stand auf. Sie fühlte sich ausgeruht, obwohl sie in der Nacht lange keine Ruhe gefunden hatte. Irgendwann – es musste einige Zeit nach Roberts Rückkehr aus der Gaststube gewesen sein – hatte sie sich entschlossen aufzustehen. Sie war ans Fenster getreten und hatte in die Finsternis hinausgestarrt. Nicht weit entfernt lag Merlin’s Chase. Und dort lebte ihre Nichte.
Es war Jemima unbegreiflich, wie sie auf die Idee hatte kommen können, Merlin’s Chase läge in Gloucestershire. Anscheinend hatte sie irgendwelche Informationen durcheinandergebracht. Nun, damals, als Jack sich in Beth Rosser, die im Londoner Haushalt des Duke of Merlin arbeitete, verliebt hatte, war sie, Jemima, im Internat gewesen. Zwar hatte sie den Duke sogar einmal persönlich getroffen, doch vermutlich hatte sie vieles gar nicht erfahren, was sich damals zugetragen hatte.
Doch immerhin wusste sie, dass Beth ein Kind von Jack erwartet hatte. Jack wollte sie heiraten, doch das hatte Alfred Jewell verboten. Es war zu einem heftigen Streit zwischen Vater und Sohn gekommen. Beth schien unter all der Aufregung so gelitten zu haben, dass sie ihr Kind zu früh zur Welt brachte. Das kleine Mädchen hatte überlebt, doch die Mutter war im Kindbett gestorben. Erst da erklärte Alfred Jewell sich bereit, etwas zu unternehmen, um das Neugeborene zu retten. In seinen eigenen Haushalt allerdings wollte er es auf keinen Fall aufnehmen. Doch immerhin suchte er den Duke of Merlin auf, der sich, als man ihm die Situation schilderte, sogleich erbot, sich um eine Pflegefamilie zu kümmern. Das Kind würde in einem zu seinem Besitz gehörenden Dorf aufwachsen.
Das lag nun beinahe sechs Jahre zurück. In dieser Zeit hatte Jack seine Tochter praktisch nie erwähnt. Aber sein verändertes Wesen brachte deutlich zum Ausdruck, wie sehr Beths Tod ihn getroffen hatte. Und Jemima zweifelte nicht daran, dass er auch seine Tochter vermisste. Tatsächlich hätte auch sie selber sich nur zu gern davon überzeugt, dass es der kleinen Tilly gut ging. Nun, da sie ihr so nah war, spürte sie noch deutlicher, wie viel ihr das Kind, das sie doch nie gesehen hatte, bedeutete. Aber Jack hatte ihr befohlen, sich von Tilly fernzuhalten.
Doch würde das überhaupt möglich sein?
„Gleich sind wir da“, sagte Robert, als die Kutsche von der Straße abbog.
Jemima rutsche auf ihrem Sitz nach vorn und starrte aufgeregt nach draußen. Schon seit einiger Zeit verspürte sie zunehmende Aufregung. Wie würde man sie in Delaval aufnehmen? Würde sie ihrer Rolle als Hausherrin überhaupt gerecht werden können? Sie war jetzt die Countess of Selborne. Und an eine Countess wurden natürlich bestimmte Erwartungen gestellt. Himmel, worauf hatte sie sich nur eingelassen? Ihre ursprüngliche Absprache mit Robert war ihr wie die Lösung all ihrer Probleme erschienen. Doch innerhalb weniger Minuten hatte sich alles geändert, und ihr Leben hatte eine völlig unerwartete Richtung eingeschlagen – eine Richtung, die ihr Angst machte.
Robert hatte ihre Unruhe kaum beachtet. Zu sehr war er mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt. Seine Züge hatten sich verhärtet, sobald sie die Grenze zu seinem Landbesitz überschritten. Offenbar hatte er das Ausmaß der Vernachlässigung unterschätzt. Jetzt schien er in Gedanken Listen mit dringend zu erledigenden Aufgaben aufzustellen. Alles andere schien plötzlich bedeutungslos für ihn
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