Historical Lords & Ladies Band 39
ein einziges Mal erboten, sie mit irgendwem bekannt zu machen. Es gab niemanden, den sie besuchen konnte, und niemand besuchte sie – was wiederum auch sein Gutes hatte, denn noch befand das Haus sich in keinem vorzeigbaren Zustand.
Einmal am Tag machte Jemima sich von ihrer Arbeit frei und brach zu einem Spaziergang auf. Mrs Cole hatte darauf bestanden, dass die junge Countess sich mindestens eine Stunde Pause gönnte, und tatsächlich genoss Jemima die ländliche Ruhe. Gleichzeitig war sie neugierig auf alles, was sie aus London nicht kannte. Das Leben auf dem Lande erschien ihr in vieler Hinsicht undurchschaubar, geheimnisvoll und manchmal sogar ein wenig unheimlich. Trotzdem war sie in der Lage, die Schönheit der Natur zu würdigen. Sie bewunderte die vom Tau glitzernden Spinnennetze, freute sich über das Geräusch des Windes in den Bäumen und konnte mit Begeisterung das Spiel der Eichhörnchen beobachten.
Viel zu oft allerdings litt sie unter Heimweh. Voller Melancholie dachte sie dann an das Haus in Twickenham, das sie nicht hatte beziehen können. Das lebhafte Treiben auf den Straßen fehlte ihr, die Stände, an denen man gebackene Kartoffeln, Aal oder Getränke kaufen konnte, und natürlich auch ihre Familie.
Jack hatte sein Versprechen gehalten, ihre Mutter über Jemimas Eheschließung und ihren Aufenthaltsort zu informieren, sobald Alfred Jewells schlimmster Zorn verraucht war. Daraufhin hatte Mrs Jewell ihrer Tochter unter großer Mühe einige wenige Zeilen geschrieben, die Jemima ein paar Tränen entlockt hatten. Tatsächlich war sie kurz davor gewesen, in eine trübsinnige Stimmung zu verfallen. Doch glücklicherweise war es ihr gelungen, sich zusammenzureißen. Sie wusste nur zu gut, dass sie nichts erreichen würde, wenn sie in Selbstmitleid versank.
Eines Morgens – sie kämpfte gerade wieder gegen einen Anfall von Traurigkeit – hörte sie durch Zufall, wie eines der Dienstmädchen sagte: „Es ist eine Schande, dass der Herr und die Herrin nie Zeit füreinander haben. Sie haben doch gerade erst geheiratet …“
„Ich glaube“, fiel eine andere Stimme ein, „sie führen gar keine richtige Ehe. George sagt, die Verbindungstür zwischen den Schlafzimmern ist immer abgeschlossen.“
„Es soll ja, wie man hört, eine Vernunftehe sein“, meldete Mrs Cole sich jetzt zu Wort. „Ich frage mich, ob Lady Marguerite das weiß und was sie wohl dazu meint.“
„Sie wird dem Herrn sagen, dass er einen Erben braucht“, meinte das erste Dienstmädchen und begann zu kichern. „Also ich hätte nichts gegen einen so gut aussehenden Mann …“
„Still, du Schamlose!“ Das war wieder Mrs Cole.
„Wahrscheinlich sind sie nach all der vielen Arbeit zu müde, um auch nur an Kinder zu denken.“
Jemima atmete tief durch, bog um die Ecke und sagte: „Ich habe eine Liste der Dinge gemacht, die am dringendsten erledigt werden müssen. Ich glaube, an hundertvierzigster Stelle steht: Lord Selborne einen Erben schenken. Leider sind wir jetzt erst bei Nummer siebenundsiebzig: die Vorhänge in den Gästezimmern waschen.“
Die Hausmädchen brachten vor Schreck kein Wort über die Lippen. Doch Mrs Cole, deren Gesicht die Farbe einer reifen Tomate angenommen hatte, bat im Namen aller um Verzeihung.
„Schon gut“, gab die Countess zurück. „Ich weiß, dass ich so tun müsste, als würde ich dieses Gerede nicht hören. Aber in meiner Familie ist man es nicht gewöhnt, den Mund zu halten. Vielleicht denken Sie in Zukunft daran, dass ich es schätze, offen meine Meinung zu sagen.“
Die Mädchen knicksten, und Mrs Cole, die noch verwirrter als vorher dreinschaute, brachte ein beschämtes „Sehr wohl, Mylady“ hervor. Dann wandte sie sich ihren Untergebenen zu: „Ihr habt es gehört: Die Herrin möchte, dass ihr die Vorhänge in den Gästezimmern abnehmt und in die Waschküche bringt.“
Mit gesenktem Blick eilten die beiden jungen Frauen hinaus, und die Haushälterin folgte ihnen. Jemima schloss die Tür, wartete einen Moment und brach dann in lautes Lachen aus. Eine echte Dame – das wusste sie sehr wohl – hätte den Klatsch der Dienstboten gar nicht beachtet. Aber sie war nun mal keine solche Dame. Und obwohl sie die Situation durchaus als amüsant empfunden hatte, musste sie sich eingestehen, dass die Bemerkungen auch ein wenig geschmerzt hatten. Insbesondere gab ihr der Hinweis auf Lady Marguerite zu denken. Sie würde mit Robert darüber sprechen müssen.
Der nächste Tag war
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