Historical Lords & Ladies Band 40
hätte, dass sie nicht verlassen war. Er nahm ihre Hand und umschloss sie mit festem Griff.
Am folgenden Tag schickte der Anwalt Helen die Fahrkarte für die Kutsche nach Glasgow und bat, die Kosten übernehmen zu dürfen. Diese freundliche Geste gestattete es ihr, unterwegs ein bisschen mehr Geld für Unterkunft und Verpflegung auszugeben.
Sie ging hinauf zum Dachboden und holte einen Koffer herunter. Während sie packte, überlegte sie bei jedem Gegenstand, ob er ihr nützlich sein würde. Doch ein Miniaturporträt ihrer Mutter im Silberrahmen, drei ihrer Lieblingsbücher und ihre Schreibutensilien fügte sie ihren Kleidern hinzu.
Abgesehen von einer Brillantnadel und dem Verlobungsring ihrer Mutter hatte sie ihren Schmuck verkauft. Die Brosche wollte sie tragen, das Samtetui mit dem Ring verstaute sie unten im Koffer. Anschließend nahmen sie und Daisy in der Küche weitgehend schweigend ein bescheidenes Mahl ein, bevor sie zu Bett gingen.
Die Nacht schien ewig zu dauern, und im Haus knarrte und ächzte es. Ein Wind war aufgekommen, sodass ein Zweig ständig gegen Helens Fenster schlug. Schlaf erwies sich daher als unmöglich.
Schließlich erhob sie sich und setzte sich auf die Fensterbank, bis der Morgen heraufdämmerte und die Bäume im Park sichtbar wurden. Fast über Nacht hatten sie ihr Laub abgeworfen. Es war Herbst geworden.
Helen zog ein einfaches schwarzes Wollkleid mit einem hohen, von einer schmalen weißen Rüsche eingefassten Kragen an. Es war vorne zugeknöpft, sodass sie keine fremde Hilfe beim Ankleiden benötigte. Dazu wählte sie einen kleinen schwarzen Strohhut.
Daisy hatte bereits eine Stellung bei einer kinderreichen Familie gefunden und verabschiedete sich gleich darauf. Es kostete Helen viel Mühe, nicht zu weinen, zumal das Mädchen den Tränen freien Lauf ließ. „Sie werden mir schreiben, nicht wahr, Miss Helen? Ich werde erst wieder ruhig schlafen, wenn ich weiß, dass Sie sicher angekommen sind und Ihr Vormund Sie gut behandelt.“
„Warum sollte er nicht?“, fragte Helen, obwohl ihr dieser Gedanke auch schon durch den Sinn geschossen war. „Mein Vater hätte nicht gewollt, dass ich bei jemandem lebe, der sich nicht um mich kümmert.“
Daisy äußerte nicht, was sie über den verstorbenen Lord Sanghurst dachte. Stattdessen wischte sie ihre Tränen weg und lächelte. „Natürlich nicht, Miss Helen, aber Sie wissen, wie ich das meine.“
„Ja, und nun gehen Sie, und machen sich keine Sorgen. Sie dürfen an Ihrem ersten Tag nicht zu spät kommen.“
Helen verbrachte die nächsten zwei Stunden damit, durch die einzelnen Räume zu gehen. Sie hatte in diesem Haus gewohnt, seit ihre Eltern mit ihr als Baby aus Indien zurückgekehrt waren. Bis vor einem Monat hatte sie weder Armut noch Unsicherheit gekannt. Und mit einem Schlage hatte sich alles geändert.
Sie fragte sich, wie der Earl of Strathrowan wohl aussehen mochte. Er musste im Alter ihres Vaters sein, da die beiden gemeinsam Militärdienst in Indien geleistet hatten. Ob er sie wohl freundlich willkommen heißen würde? Falls nicht, war sie fest entschlossen, eine Stellung zu finden und sich unabhängig zu machen.
Als es läutete, lief sie nach unten und öffnete die Tür. Eine Mietdroschke stand auf der Straße. „Sind Sie fertig?“, fragte der Kutscher.
„Ja“, erwiderte Helen. „Würden Sie wohl freundlicherweise meinen Koffer tragen? Mit der Reisetasche komme ich allein zurecht.“
Sie nahm ihren warmen Mantel, der in der Halle auf einem Stuhl gelegen hatte, während der Mann ihren Koffer zu seiner Droschke schleppte. „Was ist da drin?“, fragte er. „Die Kronjuwelen?“
„Nur meine Kleider und ein paar Bücher.“
„Wozu brauchen Sie Bücher? Aus Büchern ist noch nie etwas Gutes gekommen.“
Ohne zu antworten, verschloss Helen die Haustür, steckte den Schlüssel in die Tasche und wartete, bis der Mann ihren Koffer mit Gurten hinten am Wagen befestigt hatte. Dann stieg sie ein und nannte ihm die Adresse von Mr Bensteads Kanzlei. Da ihr nicht viel Zeit blieb, um das Blue Boar Inn in Holborn zu erreichen, wo sie die Kutsche für den ersten Teil ihrer Reise gen Norden besteigen wollte, gab sie die Schlüssel einem Angestellten und fuhr sofort weiter.
Im Blue Boar Inn herrschte ein reges Treiben. Ununterbrochen fuhren Kutschen in den Hof und verließen ihn wieder, nachdem sie Passagiere mit Gepäck aus- und andere eingeladen hatten. Es herrschte ein unbeschreiblicher Lärm, Geschrei und Gelächter,
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