Historical Mylady Spezial Band 2
unwillig. „Ich jedenfalls habe nicht den geringsten Wunsch, Lord St Claire näher kennenzulernen, als ich es heute Abend leider bereits getan habe!“
Dolly zuckte mit den Achseln. „Ich fürchte, das werden Sie Sebastian selbst sagen müssen.“
Doch Juliet wusste, dass sie das gerade getan hatte.
Da sie noch nicht bereit war, nach unten zu gehen und unter den neugierigen Blicken der anderen Gäste ihr Frühstück einzunehmen, bat Juliet Dollys Zofe, die ihr beim Ankleiden half, ein Tablett auf ihr Zimmer zu bringen.
Ein Blick in den Spiegel heute Morgen hatte ihr verraten, dass die dunklen Schatten unter ihren Augen und die blassen Wangen nur allzu deutlich bezeugten, wie schlecht sie geschlafen hatte. Jetzt, da ihr Haar in sanften Locken hochgesteckt war, schien beides nur noch auffälliger hervorzutreten.
Zwar redete Juliet sich ein, die unruhige Nacht sei auf ihre Sorge um Helena und deren verstauchten Knöchel zurückzuführen, aber insgeheim wusste sie, dass es noch einen ganz anderen Grund dafür gab.
Und dieser Grund hieß Lord Sebastian St Claire.
Fast hatte sie schon damit gerechnet, dass er noch auf dem Balkon stand – oder, noch schlimmer, in ihrem Schlafzimmer –, als sie gestern Abend aus Helenas Zimmer zurückgekehrt war. Doch er war fort gewesen, und ein vorsichtiger Blick aus dem Fenster hatte ihr gezeigt, dass bei ihm auch kein Licht mehr gebrannt hatte. Also war Lord St Claire entweder schon zu Bett gegangen oder hatte noch mit den übrigen Gentlemen Karten gespielt. Juliet vermutete eher Letzteres.
Eins wusste sie ganz gewiss: Sie würde heute nicht abreisen können. Helenas Knöchel war sehr stark geschwollen, und Mr Hallowell hatte ihr dringend dazu geraten, mindestens einen Tag lang das Bett zu hüten. Und Juliet wollte Banford Park auf keinen Fall ohne ihre Cousine verlassen.
Noch ein Grund für ihre schlaflose Nacht.
Denn wenn sie Banford Park nicht verlassen konnte, würde sie auch nicht verhindern können, dass sie St Claire wiedersah …
„Gibt es in dieser Kanne genug Tee für zwei?“, unterbrach eine vertraute Stimme ihre bedrückenden Gedanken.
Wie es aussah, blieb sie nicht einmal in ihrem eigenen Schlafzimmer von diesem unmöglichen Mann verschont!
Ungläubig drehte Juliet sich um und entdeckte ihn an der Tür, die zu ihrem Balkon führte. „Mein Schlafzimmer ist kein öffentlicher Platz, Sir!“
„Das will ich doch hoffen.“ Er lächelte gelassen und kam endgültig herein, als hätte sie ihn eingeladen.
Vermutlich durfte sie sich noch glücklich schätzen, dass er heute im Gegensatz zu gestern Abend angemessen gekleidet war mit dunkelgrüner Jacke, blassgrüner ordentlich zugeknöpfter Weste, sorgfältig geschlungener Halskrawatte, polierten schwarzen Schaftstiefeln und hellbrauner Hose. Sonst gab es aber nichts, wofür sie dankbar sein konnte.
„Ich meinte, Mylord, dass ich mich nicht erinnere, Ihnen die Erlaubnis gegeben zu haben, in meinem Schlafzimmer ein und aus zu gehen, wie es Ihnen beliebt!“
„Noch nicht“, lenkte er ein. „Allerdings hege ich die Hoffnung, dass Sie es bald tun werden.“
Fassungslos sah sie zu, wie er sich vorbeugte, ihre Teetasse in die Hand nahm und genau von der Stelle nippte, von der sie vor wenigen Momenten selbst getrunken hatte – ohne den Blick seiner faszinierenden Augen von ihr zu nehmen.
Er versucht noch immer, mich zu verführen, erkannte Juliet mit einem seltsam flatternden Gefühl in ihrer Brust. Sebastian St Claire sah entschieden besser aus, als gut für ihn war – oder für alle Frauen, die in seine Nähe kamen. Sie selbst eingeschlossen.
So kam er nicht weiter.
Sebastian erkannte die ersten Anzeichen von Zorn in Juliets funkelnden Augen; die plötzliche Röte ihrer Wangen, das stolz gehobene Kinn, die zusammengebissenen Zähne.
Ohne besondere Eile stellte er die Tasse zurück auf die Untertasse. „Die anderen Damen wollen einen Spaziergang zum Dorf unternehmen, um sich die normannische Kirche anzusehen.“ Sein spöttischer Ton sollte deutlich ausdrücken, was er von diesem Plan hielt. „Ich dachte, Sie würden es vielleicht vorziehen, mit mir in meiner Kutsche auszufahren.“
Wenn überhaupt, schien sie sogar noch wütender zu werden. „Dann haben Sie sich geirrt.“
„Sie sehen blass aus heute Morgen, meine liebe Juliet“, bemerkte er besänftigend. „Ein wenig frische Luft wird gewiss wieder Farbe in Ihre Wangen zaubern.“
„Lord St Claire …“, begann sie drohend.
„Ja?“
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