Historical Platin Band 04
habe er ein Gespenst vor sich. Immer wieder schlug er das Kreuz und murmelte etwas Unverständliches. Offenbar hatte er angenommen, sie sei tot. Wahrscheinlich waren viele Leute dieser Meinung. Doch noch lebte sie. Ihre Freiheit hing davon ab, dass sie den Alten davon überzeugte, Seana MacKendrick zu sein. Sie musste ihm das schnellstens klarmachen, damit er ihren Bruder zu Hilfe holte. „Ich bin nicht von den Toten auferstanden“, erklärte sie. „Ich wurde bislang in Deer Convent festgehalten. Wie heißt du? Ich möchte dir danken und dich bis an mein Lebensende in meine Gebete einschließen.“
„Man nennt mich Angus“, erwiderte er. Die junge Frau wirkte gehetzt und hatte einen verstörten Ausdruck in den Augen. Wieder verspürte Angus Mitleid. „Wirst du verfolgt?“, erkundigte er sich.
„Ja“, antwortete sie matt. „Die Rotte ist dicht hinter mir. Ich will nicht zurück. Gibt es jemanden, den du zu meinem Bruder schicken kannst? Ich kann keinen Schritt mehr tun.“ Da sie noch immer nicht zu hören bekam, wonach sie sich sehnte, zog sie den Sticher aus der Scheide. „Er gehört dir“, sagte sie und drückte ihm Angus in die Hand.
Er drehte ihn hin und her, betrachtete ihn ausführlich und wog ihn in der Hand.
Seana wusste, es war ein Dolch, den jeder gern besessen hätte. „Behalte ihn als Andenken und zum Ausgleich für die Hilfe, die du mir leistest“, sagte sie drängend.
Angus schaute sie an. „Ja, ich werde ihn behalten“, erwiderte er erfreut. „Mein Tochtersohn hütet die Schafe. Ich hole ihn. Er hat kräftige Beine.“ Der Grund fiel ihm ein, warum er ihn holen sollte. „Ruhe dich aus“, fuhr er fort. „Hier bist du in Sicherheit.“
„In Sicherheit“, wiederholte sie leise und schloss die Augen. Sie hörte Angus aus dem Raum gehen und nahm sich vor, sich die Geborgenheit nicht nehmen zu lassen. Erschöpft zog sie den Mantel aus und das Schaffell näher, damit sie sich darauf ausstrecken konnte. Nicht wissend, wie viel Zeit inzwischen verstrichen war, erhob sie sich, sobald sie Hufschlag vernahm. Vor Freude klopfte das Herz ihr bis zum Halse. Sie rannte zur Tür, riss sie auf und sah eine Schar Reisiger zum Koben preschen. „Liam!“, rief sie glücklich. „Ich bin heimgekehrt. Ich bin …“
„Sapperlot, Micheil! Angus hatte recht. Seana fällt uns mühelos in die Hände“, sagte James zufrieden.
Micheil löste sich von seiner Eskorte, ritt zu Seana und bemerkte, dass sie vor Entsetzen die Augen aufriss. „Ich fordere, ich behalte“, sagte er und warf lachend den Kopf in den Nacken.
„Hundesohn!“, schrie sie ihn an. „Lotterbube! Hundsfott!“ Sie vermochte nicht zu fassen, was sie sah.
„Ich habe jeden Mann getötet, der mich mit solch unflätigen Ausdrücken belegte“, erwiderte er spöttisch. „Die Vergeltung, die ich an dir zu üben gedenke, wird jedoch noch viel süßer sein. Schließlich wirst du dich nach dem Tod sehnen. Nur er wird dich von mir befreien.“
Das grölende Gelächter der Männer beschämte Seana. Sie musste sich eingestehen, dass sie ihrem Feind ausgeliefert war. James war tatsächlich in Wirklichkeit das Oberhaupt der MacGlendons. Immer wieder hörte sie die Reiter ihn bei seinem richtigen Namen nennen. Sie saßen ab, doch niemand näherte sich ihr. Sie klammerte sich an die Tür, um nicht den Halt zu verlieren. Schwäche würde sie nicht zeigen.
Sie ließ den Blick über Micheils Gefolge schweifen und nahm einen jungen Burschen wahr, der neben dem Clanführer stand und den Hunden befahl, sich ruhig zu verhalten. Ihr war klar, dass sie verloren war. Hasserfüllten Blicks starrte sie Angus an, der sie an die MacGlendons verraten hatte.
Er näherte sich ihr, hielt ihr den gestohlenen Hirschfänger vor das Gesicht und einen zweiten Sticher. „Sieh genau hin!“, sagte er barsch. „Sieh dir die Klinge an, die meiner Tochter das Herz durchbohrt hat! Ich würde nicht einmal einem Nestling der MacKendricks Hilfe angedeihen lassen! Du kennst diese Schneide, nicht wahr?“
Seana wich zurück. Er hatte behauptet, mit diesem Messer sei seine Tochter getötet worden. Ebenso hatte er angegeben, das Land, auf dem sie sich befand, gehöre ihm. Vor Angst war sie wie gelähmt und brachte keinen Laut heraus. Sie kannte die Waffe. Es war der lange Dolch, den ihr Bruder stets neben dem Schwert am Gehenk trug.
„Sie wurde so geschlagen, dass ihr Gesicht vollkommen entstellt war“, fuhr Angus wütend fort. „Liam MacKendrick hat sie geschändet
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