Historical Saison Band 06
Umdrehung der Rollen hin- und herschwappte. Daneben lag ein sauberes weißes Tuch. Auf der unteren Wagenablage standen eine Flasche mit einer abstoßend schwarzen Flüssigkeit, ein gefülltes Likörglas und – sehr zu Peters Freude – ein kleiner Krug mit frisch gezapftem Bier.
„Das ist Brombeerlikör, Mylord“, erläuterte der Gastwirt, der bemerkt hatte, wie skeptisch Peter die dunkle Flüssigkeit betrachtet hatte. „Meine Frau schwört darauf. Sie sagt, nichts hilft besser gegen eine Erkältung.“
Peter tauchte das Tuch ins warme Wasser und wischte vorsichtig den Schmutz aus dem Gesicht der jungen Frau. Dann nahm er das Glas mit dem Likör, hob Cassies Kopf an und führte den Stärkungstrunk an ihre Lippen. Wenige Sekunden später flatterte sie mit den Wimpern, öffnete die Augen und sah ihn direkt an. Peter wurde in einer Weise warm ums Herz, die er nie zuvor gespürt hatte. Sie hatte braune Augen, in denen helle goldene und grüne Einsprengsel funkelten, die an das Licht der Sonne auf den bunt verfärbten Herbstblättern erinnerten. Und diese Augen wirkten so groß und ehrlich, als blickten sie unmittelbar in seine Seele.
„Ich danke Ihnen, Sir“, flüsterte sie. Dann lächelte sie. „Mein Name ist Cassandra Ward.“
„Wie fühlen Sie sich? Ich bin Peter …“
Doch Cassies Augen waren wieder zugefallen, und ihr Kopf sank kraftlos gegen seine Schulter. Er wusste nicht, ob sie ihn überhaupt gehört hatte. Seufzend lehnte er sie wieder gegen die Kissen.
Der Wirt schielte von hinten über seine Schulter. „Ich rechne damit, dass der Arzt jeden Augenblick kommt“, sagte er und kratzte sich am Hinterkopf. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich werde besser mal nachsehen, wo er bleibt.“
Peter griff nach dem Bierkrug und nahm einen tiefen Schluck. Die ganze Situation erschien ihm ausgesprochen heikel. Einerseits wollte er zum Landsitz von Anthony Lyndhurst reiten und dem Major den Unfall seiner Cousine melden, denn das gehörte zum guten Ton. Außerdem würde er sich besser, oder genauer gesagt, sicherer fühlen, wenn er der warmen Enge des Salons und seinen hitzigen Fantasien entkäme, die er nicht zuletzt auf das prasselnde Kaminfeuer zurückführte. Andererseits würde es schwierig werden, Major Lyndhurst zu erklären, warum er seine Cousine in einem Gasthaus zurückgelassen hatte, in dem noch nicht einmal eine Wirtin zugegen war. Ein solches Verhalten gehörte zum Unritterlichsten, was man sich vorstellen konnte, und würde gewiss keinen guten Eindruck auf jemanden machen, der zukünftig zur angeheirateten Verwandtschaft gehörte.
Hin- und hergerissen betrachtete er die schlafende Cassie. Dann öffnete er die Tür zum Gang, um nach dem Wirt und dem Arzt Ausschau zu halten. Aus der Schankstube hörte er Stimmen und das Poltern von Fässern auf dem Steinboden. Offenkundig erhielt der Wirt gerade eine neue Bierlieferung. Peter ging nach draußen. Der Doktor war nach wie vor nicht in Sicht.
Im Hof wurde ihm klar, dass es sich einregnete. Der Wind kam von den Hügeln und trieb bedrohlich graue Regenwolken über das Land. Blätter wehten ihm entgegen. Nichts als das Grollen des Donners war zu vernehmen. Hector streckte seinen Kopf aus einer der wackeligen Boxen und schnaubte verängstigt. Peter stellte seinen Kragen hoch, um sich vor dem Regen zu schützen, und ging schnell zurück ins Gasthaus.
Zu seiner Überraschung befand sich der Gastwirt wieder im Salon und war gerade dabei, Cassies Likörglas nachzufüllen. Sie saß aufrecht gegen die Sofakissen gelehnt, ihre Augen glitzerten, und ihre Wangen hatten wieder Farbe angenommen. Mit ihrem fröhlichen Blick, dem ihr über die Schultern fallenden Haar und in dem aufreizend weit geöffneten Kleid sah sie wie ein verführerischer Engel aus. Als sie sein Eintreten bemerkte, hörte sie auf zu sprechen und schaute ihn nachdenklich an. Peter holte Luft und war auf alles vorbereitet. Dies war also der Moment, in dem sie sich daran erinnerte, dass er der liederliche Viscount Townend war, ein Mitgiftjäger, der sich auf der Jagd nach ihrem Vermögen befand.
„Ich freue mich, Sie schon wieder so erholt zu sehen, Miss Ward“, sagte er.
Cassie betrachtete ihn noch eine Weile und lächelte schelmisch. Ungläubig beobachtete Peter, wie sie das Likörglas leerte, es auf dem Wagen abstellte, die Beine übereinander schlug und einladend mit einer Hand auf den Platz neben sich auf dem Sofa wies. Peter war wie vor den Kopf gestoßen. Es war ihm unbegreiflich,
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