Historical Saison Band 08
sofort mit der Sprache herausrücken wollte, sagte sie: „Sie werden es mir vermutlich erzählen, sobald Sie Lust dazu haben. Vielleicht morgen?“
Nachdenklich schaute er sie an. „Das könnte besser sein.“
Er sprach leise und ohne jede Spur von Abfälligkeit oder Kälte. Ihr kam der Gedanke, dass er versuchte, sie vor einer schrecklichen Nachricht zu bewahren. Aber das half ihr auch nicht weiter.
„Sagen Sie es mir augenblicklich. Nichts kann noch schlimmer sein als das Gedächtnis zu verlieren und sich als unwillkommener Gast im Haus eines fremden Mannes zu befinden.“
„Denken Sie das wirklich?“, fragte er ruhig. „Ich hoffe es um Ihretwillen.“
Seine Züge wirkten mit einem Mal milder und sensibler. Fast gewann sie den Eindruck, dass er Mitleid mit ihr empfand.
„Nun?“, ermunterte sie ihn.
„Meinen Sie nicht, dass Sie für heute genug durchmachen mussten?“
Sein plötzliches Mitgefühl und seine Wortwahl ließen bei ihr die Alarmglocken läuten. Ihr Puls beschleunigte sich.
„Kann es Schrecklicheres geben, als mit einer Kutsche zu verunglücken und das Gedächtnis zu verlieren?“
Er erhob sich und stellte den Stuhl an seinen ursprünglichen Platz zurück. „Vielleicht.“
„Sie machen es für mich nur noch schlimmer.“
Er drehte sich wieder zu ihr. „Das fürchte ich auch, obwohl es nicht in meiner Absicht lag. Glücklicherweise scheinen Sie eine starke Frau zu sein.“
Dazu gab es nichts zu sagen. Sie wusste nicht, ob sie stark oder schwach war.
„All Ihre Kleidungsstücke sind schwarz“, erklärte er leise.
„Trauer“, flüsterte sie. „Ich muss innerhalb der letzten zwölf Monate einen nahe stehenden Menschen verloren haben.“
Er nickte.
Tief im Inneren spürte sie, dass es stimmte. Ein Gefühl tiefer Leere erfüllte sie. Vor lauter Sorge um den Gedächtnisverlust hatte sie zuvor nicht darauf geachtet. Jetzt tat sich diese Leere wie ein Abgrund vor ihr auf. Seine Worte mussten diese Reaktion in ihr hervorgerufen haben. Aber wen hatte sie verloren?
Vor Beklemmung zog sich ihr der Magen zusammen. Sie wich seinem Blick aus. Sie wollte nicht, dass er Zeuge wurde, wie sie um einen Menschen trauerte, an den sie sich nicht erinnern konnte.
„Bitte gehen Sie jetzt“, forderte sie ihn auf, und es kostete sie alle Kraft, die Tränen zurückzuhalten.
„Ich werde Mrs Drummond zu Ihnen schicken.“
„Nein, bitte niemanden.“ Sie holte tief Luft. „Noch nicht.“
Die Haushälterin würde ihr wieder Laudanum verabreichen. Es würde ihren Kummer betäuben, aber das wollte sie nicht. So schmerzhaft es auch war, es konnte ihr helfen, sich wieder zu erinnern.
„Sind Sie ganz sicher?“, erkundigte er sich.
„Ja“, erwiderte sie leise.
Sie wollte ihre Verletzbarkeit nicht zeigen, ebenso wenig wie die Tränen, die nun hervorquollen, obwohl sie versucht hatte, sie zu unterdrücken. Es war, als ob etwas in ihrem Inneren zerbrochen wäre.
„Wie Sie wünschen.“
Zunächst war sie erleichtert, als er ging und die Tür sich hinter ihm schloss. Doch dann empfand sie eine furchtbare Einsamkeit und Verlorenheit.
Dieser verfluchte Mann! Verflucht für sein Herumschnüffeln und dafür, dass er ihr verraten hatte, dass sie sich in Trauer befand. Und verflucht, weil er sie mit ihrem Kummer allein ließ.
Ein grenzenloser Schmerz erfasste sie, den sie mit keinem Namen verbinden konnte und von dem sie dennoch wusste, dass er aus einem großen Verlust erwuchs. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie schluchzte leise. Sie umklammerte das Laken und vergrub ihr Gesicht in den Kissen, in der Absicht nichts mehr von der Welt zu sehen.
Ihr Herz wusste, was sie mit ihrem Verstand nicht beim Namen nennen konnte. Der Verlust war verheerend.
Guy stand draußen vor der Tür, um sicherzustellen, dass kein Bediensteter sie störte, und hörte ihr herzzerreißendes Schluchzen. Am liebsten wäre er wieder hineingegangen um sie zu trösten. Er wollte sie festhalten und ihr herrliches Haar streicheln.
Er wollte Dinge, an die er nicht einmal denken durfte…
Ihr Weinen wurde leiser und brachte ihn auf andere Gedanken.
Er hätte behutsamer mit ihr umgehen sollen, aber ihr Zorn über seine Vorgehensweise hatte ihn gereizt. Außerdem hatte sie ihn als arrogant bezeichnet. Auch Suzanne hatte ihm diesen Vorwurf häufig gemacht und ihn der Selbstherrlichkeit bezichtigt. Indem diese Frau beinahe dieselben Worte verwendet hatte, hatte sie seinen wunden Punkt getroffen.
Ja, ich bin
Weitere Kostenlose Bücher