Historical Saison Band 15
nicht davon abhalten, den Brief zu nehmen, der danebenlag. Obwohl sie wusste, dass es falsch war, unerlaubt Bennetts Privatkorrespondenz zu lesen, war es kaum noch wichtig, wenn sie bedachte, wie sehr sie ihm schon geschadet hatte. Diese abscheulichen Karikaturen! Wie viele, außer diesen, mussten schon seit Wochen in London kursieren und Mitleid und Verachtung für ihren stolzen Mann auslösen? Doch als sie George Marlows Brief las, wusste sie, dass Bennett seine Bitte nicht abschlagen konnte, selbst wenn ihn öffentlicher Spott und Hohn erwartete.
„Mama, wo bist du?“ Wyns Ruf war eine Bitte, die sie ihrerseits nicht abschlagen konnte, obwohl sie sich lieber irgendwo verkrochen hätte und nie wieder herausgekommen wäre. „Ich habe Papa gefunden! Es ist Zeit, zum Boot zu gehen.“
Mühsam sammelte sie die letzte Kraft, die ihr geblieben war, ignorierte ihre zitternden Knie und zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Indem sie eine gleichgültige Miene aufsetzte, kämpfte sie entschlossen gegen die Enttäuschung an, dass ihr nun doch keine weitere Woche bleiben würde, um ihre Ehe zu retten. Vielleicht nicht einmal mehr ein Tag.
Aber machte es wirklich etwas aus? Die vergangenen Wochen auf Tresco waren nur ein Traum gewesen. Jene obszönen Zeichnungen hatten ihr das wahre Ausmaß ihrer Unbesonnenheit mit grausamer Deutlichkeit vor Augen geführt. Es lag nicht in ihrer Macht, es wiedergutzumachen, und nicht in Bennetts, ihr zu vergeben.
„Da ist sie ja.“ Bennett drückte seinem Sohn die Hand, als Caroline aus dem Haus kam. „Siehst du, wir haben doch nicht Verstecken gespielt.“
Da der heutige Ausflug sehr wahrscheinlich ihr letzter gemeinsamer sein würde, war Bennett entschlossen, den Schein einer glücklichen Familie aufrechtzuerhalten – trotz der Zweifel, die ihn quälten.
Wyn lächelte zögernd. „Du machst Spaß, nicht wahr, Papa?“
„Aber nein!“, rief Caroline in gespieltem Entsetzen. „Dein Papa ist immer ernst. Er kann Scherze nicht ausstehen.“
Das stimmte tatsächlich – zumindest noch vor einer kurzen Weile. Jetzt glaubte Bennett, dass er ein oder zwei Scherze auf seine Kosten schon ertragen könnte, wenn er Caroline damit ein Lächeln entlocken würde. „Ich bin nicht ganz so dünnhäutig, wie ich einmal war, als eine gewisse junge Dame mich zum Ziel ihrer Späße machte.“
Neugierig sah Wyn zu seiner Mutter auf. „Meint er dich, Mama?“
Mit gespielter Zerknirschung nickte Caroline. „Ich konnte mir nicht helfen. Er war viel zu ernst für einen so attraktiven jungen Mann. Ich musste etwas tun, um ihn zum Lächeln zu bringen.“
Er erinnerte sich noch sehr gut daran. Damals war er von so vielen nichtssagenden Debütantinnen verfolgt worden, dass er die erstaunliche Mischung aus frechem Witz und umwerfender Schönheit bei Caroline Beresford unwiderstehlich gefunden hatte. Wenn er sich nur die Zeit genommen hätte zu ergründen, wie viel mehr in seiner Frau steckte, wie viel Leid wäre ihnen allen erspart geblieben?
„Weißt du, was sie einmal sagte, als dein Großvater keinen Schürhaken für das Kaminfeuer fand?“ Bennett imitierte Caroline mit übertrieben hoher Stimme. „Ich glaube, Lord Sterling muss sich darauf gesetzt haben. Kein Wunder, dass er immer so kerzengerade daherstolziert.“
Wyn lachte, als hätte er noch nie etwas so Lustiges gehört. „Das muss ich Albert erzählen.“
Bevor sie ihn aufhalten konnten, war er schon in Richtung Kai davongelaufen, wo Albert auf sie wartete.
„Ich war ein herzloses kleines Ungeheuer, nicht wahr, dich so zu quälen?“ Hinter Carolines Scherzen spürte Bennett eine Reue, die in keinem Verhältnis zu dieser harmlosen kleinen Verspottung stand. „Ich muss zugeben, als Vater dich zum ersten Mal zu uns nach Hause einlud und dich währenddessen die ganze Zeit in den höchsten Tönen lobte, war ich ein wenig eifersüchtig. Du schienst der Sohn zu sein, den er sich immer ersehnt hatte.“
Bennett nickte verständnisvoll. „Wir sind uns ziemlich ähnlich, dein Vater und ich. Vielleicht in gewisser Weise zu ähnlich. Wenn ich jetzt zurückdenke, nehme ich an, dass das einer der Gründe gewesen sein muss, weswegen er mich für einen passenden Gatten für seine Tochter hielt.“
Sie seufzte kläglich. „Was nur wieder beweist, dass Vater nicht so klug war, wie man allgemein behauptete.“
Es fiel Bennett schwer, seinen inneren Aufruhr zu verbergen. Wyndham Beresford hätte keinen Mann wie ihn auswählen
Weitere Kostenlose Bücher