Historical Saison Band 17
Garderobe aus und entschied sich schließlich für ein möglichst schlichtes, aber stilvolles Kleid aus Jakonett. Sobald sie mit ihrem Vater das Haus verlassen hatte, blieb ihr Blick unter der breiten Krempe ihres Strohhuts gesenkt. Doch sie musste nichts befürchten. Offenbar vergnügte sich die Hautevolee anderswo und genoss das schöne Wetter in einer ländlichen Umgebung.
Während sie durch fast verlassene Straßen gingen, erzählte Alfredo von seiner Fahrt nach London und den beunruhigenden Neuigkeiten aus Spanien.
„Nach einem Regierungswechsel ändert sich meistens auch alles andere“, vertraute er seiner Tochter an. „Meine Position ist mir nicht mehr sicher. Vielleicht werde ich bald nach Madrid zurückberufen und woandershin versetzt. Das würde ich bedauern, querida . Deinem Urlaub am Meer droht ein abruptes Ende.“
Besänftigend drückte sie seinen Arm. Aber eine böse Ahnung stieg in ihr auf. Wenn sie aus Brighton abreisen mussten, würde es die Trennung von ihrem Vater bedeuten, mit dem sie erst vor Kurzem wiedervereint worden war. Sie würde nach Spanien zurückkehren, zu der unausweichlichen Zukunft, die sie dort erwartete. Erst vor wenigen Wochen hatte sie sich bereit erklärt, ein Leben zu führen, das ihr trister denn je erschien. Daran hatte sich nichts geändert. Trotzdem war alles anders.
Über dieses Paradoxon dachte sie immer noch nach, als sie die neue Leihbibliothek am westlichen Ende der Promenade erreichten.
Normalerweise saßen zahlreiche Einheimische und Urlaubsgäste im Café und in den Salons. Aber so wie die Straßen der Stadt war auch die Bibliothek an diesem Tag fast menschenleer. Nur ein paar Damen inspizierten die Bücherregale. Am Ende des kleinsten Salons fand eine Kartenpartie statt.
Ein Gentleman sortierte Notenblätter. Vielleicht plante er eine musikalische Soiree.
„Heute sind alle an der Rennstrecke versammelt“, erklärte er, nachdem Alfredo auf die schwach besuchte Bibliothek hingewiesen hatte. „Der Regent’s Cup, wissen Sie. Üppiges Preisgeld.“
„Hätten wir das bloß früher erfahren!“, wandte Alfredo sich zu Domino. „Sicher hätte dir das Rennen Spaß gemacht. Das kommt davon, wenn man ständig nur daheim herumhängt und nicht merkt, was in der Stadt passiert.“
Doch sie war froh, dass ihr Vater nichts von dem Ereignis gehört hatte. Auf dem Rennplatz würde sie all die Leute treffen, die sie nicht sehen wollte.
Nachdem sie den Inhalt der Regale dreißig Minuten lang studiert hatten, brachen sie mit einer kleinen Auswahl an Büchern auf. Beim Ausgang entdeckte Alfredo ein Plakat, das ihn interessierte. „Sieh mal, Domino, Henry Angelo hat hier in Brighton eine neue Fechtakademie gegründet. In London war ich nahe dran, ein oder zwei Stunden bei ihm zu nehmen.“
Unwillkürlich lächelte sie. Ein Mann in mittleren Jahren, hatte ihr Papa wohl nicht mehr den Körperbau, der ihn für die Fechtkunst prädestinieren würde.
„Was belustigt dich, meine Kleine? Glaubst du, ich würde es nicht mehr schaffen?“
„Doch, natürlich könntest du’s. Aber warum schaust du nicht lieber anderen Fechtern zu?“
„Vielleicht hast du recht. Allerdings war ich in meiner Jugend den besten Fechtern ebenbürtig.“
„Tatsächlich?“
„Sogar den legendären Don Rodriguez habe ich besiegt.“
Fragend schaute sie ihn an.
„Den kennst du nicht. Das geschah vor deiner Geburt. Ganz Madrid hat ihn bewundert. Ich forderte ihn wegen einer Wette heraus, und niemand glaubte, ich würde gewinnen. Trotzdem ist es mir gelungen.“
„Und Don Rodriguez?“
„Wie ich zugeben muss, war er vermutlich nicht ganz bei Kräften, denn unser Kampf fand nach einer feuchtfröhlichen Party statt.“
Beide lachten, dann meinte Domino wehmütig: „Wie glücklich müssen sich die Männer schätzen! Sie haben so viele Möglichkeiten, ihre Energien loszuwerden. Und wir Frauen können nur sticken oder Klavier spielen.“
„Bisher habe ich dich weder bei der einen noch bei der anderen Beschäftigung beobachtet, querida .“
„Weil mich so was langweilt. Ich würde viel lieber fechten.“
Damit würde ich meine innere Unrast bezwingen, dachte sie, vielleicht sogar meine Melancholie. Oh ja, die Männer sind zu beneiden. Und die Frauen sitzen einfach nur herum und warten, bis sie geheiratet werden …
Ohne dass sie es merkte, nahm Alfredo das Interesse seiner Tochter ernst und prägte sich die Adresse der neuen Fechtschule ein. Diese kleine Freude wollte er ihr gönnen.
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