Historical Saison Band 19
wieder ganz sie selbst zu sein.
„Nun denn, Tante Hester. Hiermit möchte ich dir Miss Frayne vorstellen, die in Abwesenheit ihres Vaters, Sir Gyffard Frayne, unsere freundliche Gastgeberin ist. Miss Frayne, darf ich Sie bitten, dass Sie Miss Willis ihre offene Art nicht übel nehmen. Hunde, die bellen, beißen nicht.“
„Frecher Kerl! Aber Sie sind eine besonders hübsche Person, meine Liebe, und ich erinnere mich gut daran, dass Sie sich schon gestern Abend um mich gekümmert haben, auch wenn ich so geschwächt war, dass ich mich selbst leider nicht richtig habe vorstellen können. Zweifelsohne ist Ihr Vater sehr stolz auf Sie, und Ihre Mutter wäre es ebenfalls, wenn sie noch unter uns weilte. Ich habe sie mehrere Male getroffen und sie als eine gutherzige und kluge Frau erlebt. Auch wenn sie ein wenig zu viel Wert auf ihr Äußeres gelegt hat. Zudem war sie eng mit Edwinas und Peters erster Stiefmutter befreundet.“
Ihre erste Stiefmutter? staunte Sophie, denn das bedeutete, dass es eine zweite gegeben hatte. Und mit einem Mal ergab alles einen Sinn. Warum war sie nicht gleich darauf gekommen? Peter hatte sich geweigert, Diamantha Rivers zur Frau zu nehmen. Daher musste Hartley Vane die vermögende junge Dame anstelle seines Sohnes geheiratet haben.
Derweil musterte Miss Willis das Zimmer mit ihren scharfen grauen Augen, die deutlich bezeugten, von welcher Familienseite Peter und Edwina die Augenfarbe geerbt hatten. Sie ließ ihre Blicke einen kurzen und nachdenklichen Moment auf Sophies schlicht gekleideter Gestalt ruhen, bevor sie sich mit einem angeekelten Schnauben den aufwendigen Frisuren und reich verzierten Kleidern von Mrs Garret-Lowden und Livia zuwandte. Obgleich Sophie zunächst wie gelähmt war, musste sie ein Schmunzeln unterdrücken, als Miss Willis den Kopf schüttelte und hörbar etwas über prahlerische Geschmacksverirrung äußerte. Dann besann sie sich offenbar, Gast in diesem Haus zu sein und Miss Frayne die Höflichkeit zu schulden, und nickte den beiden unbekannten Gästen hoheitsvoll zu. An ihrer Miene war indes abzulesen, dass sie sich nicht erklären konnte, weshalb die Hausherrin diese beiden Damen eingeladen hatte.
„Darf ich Ihnen Mrs Garret-Lowden und ihre Tochter, die Verlobte meines ältesten Bruders Timon, vorstellen, Miss Willis?“, ergriff Imogen tapfer die Initiative, und Sophie trat einen Schritt vor, um ihr schweigend den Rücken zu stärken.
„Hm … weshalb heißt er denn Timon? Ich stehe kurz davor, zurückzunehmen, dass ich Ihre Mutter als kluge Frau bezeichnet habe. Und wie ist dann bitteschön Ihr Vorname? Kleopatra oder etwas ähnlich Absonderliches, nehme ich an.“
„Imogen, Miss Willis“, erwiderte Imogen nachsichtig, und Sophie wunderte sich, wie schnell ihre ehemalige Schülerin die schroffe Fassade der betagten Dame durchschaut und erkannt hatte, dass sich dahinter eine gutherzige Person verbarg. Zweifellos musste sie lernen, Imogens Intuition und ihrem Verstand mehr Vertrauen zu schenken. Es gab keinen Anlass, sich Sorgen zu machen, dass die älteste Tochter des Hauses nicht aus eigenem Zutun ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen würde.
„Und Ihre anderen Brüder und Schwestern heißen wahrscheinlich Macbeth, Hamlet und Ophelia, nehme ich mal an, denn ich erinnere mich, gestern Abend noch mehr junge Menschen erblickt zu haben, als wir aus diesem verteufelten Schneesturm gerettet wurden.“
„Nein, Madam, sie heißen Lysander, Ferdinand, Viola und Audrey.“
„Auch gut. Dann hat sich Ihre Mutter wohl nach dem Erstgeborenen den Komödien Shakespeares zugewandt“, stellte Miss Willis belustigt fest. Anschließend richtete sie ihre bohrenden Blicke auf Sophie und winkte sie zu sich heran.
„Ich weiß, dass Sie besser sind als die meisten Menschen, junge Dame, aber ich wüsste doch zu gern, was Sie sich dabei gedacht haben, als Sie einfach aus Holm Park fortgegangen sind und uns alle in Sorge um Ihren Verbleib und Ihr Wohlergehen zurückgelassen haben. Ein seltsames Verhalten, meine Liebe, auch wenn Sie es offensichtlich geschafft haben, einigen jungen Damen eine ausgezeichnete Erziehung angedeihen zu lassen. Oder zumindest wurde mir das von meiner Nichte berichtet, die daraus rätselhafterweise mildernde Umstände für Sie ableitet.“
„Ich danke Ihnen“, sagte Sophie ruhig, indem sie nur auf das Kompliment einging und es in Ehren hielt, da sie gut wusste, wie selten die alte Dame ein Lob aussprach.
„Dina dachte wohl, es würde
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