Historical Weihnachtsband 1990
wenig länger auskosten können.
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Die Haustür wurde aufgerissen, als Jack und Mary in die Einfahrt bogen. Gray trat auf die Veranda.
„Jack, du bist ein Genie", behauptete er, sobald sie heran waren. „Entweder das, oder ein Gedankenleser. Ich habe mir beim Schlittschuhlaufen die Hose zerrissen und bin nach Hause gegangen, um mich umzuziehen. Mom ist mit der Kutsche unterwegs, und ich wäre zu spät bei Annabella eingetroffen, wenn ich zu Fuß gegangen wäre. Bevor du aufgetaucht bist, war ich schon am Verzweifeln und hatte mich fast damit abgefunden, mit der Zwergenhorde essen zu müssen. Nein, nein, steig gar nicht erst ab. Bleib einfach oben, und ich helfe Mary heraus. Warum habt ihr nur so lange gebraucht? Grandfather ruft schon seit mindestens einer Stunde nach dir."
Er reichte Mary die Hand und half ihr vom Buggy, als ein Schwärm Kinder aus der offenen Haustür strömte und Mary mit Umarmungen und Freudenschreien überhäufte. Ihnen folgte ihre Mutter, die über das Durcheinander hinwegrief: „Oh, da bist du ja, Mary! Gott sei Dank, endlich! Dieses Dienstmädchen beharrt darauf, daß das Kindermädchen im zweiten Stock untergebracht werden soll statt im ersten, in der Nähe vom Kinderzimmer. Und hast du einen Knopf? Robin hat einen an seinem Hemd verloren."
„Hallo, Sophia!" begrüßte Mary ihre Schwester und nahm das kleinste der Kinder auf den Arm, um es die Stufen hinaufzutragen. Die anderen hüpften neben ihr her, wobei jedes einen Zipfel ihres Rocks erhaschte. „Du kannst dem Kindermädchen jedes Zimmer geben, das du willst, und wenn du mir das Hemd zeigst, finde ich einen passenden Knopf." Dann blieb Mary stehen und wandte sich zum Buggy um.
Gray war bereits eingestiegen. „Mr. Gates, vielen Dank für den wundervollen Vormittag — Gray, wirst du zum Abendessen nach Hause kommen?"
„Ich hoffe nicht", antwortete Gray und schnitt eine Grimasse. „Auf Wiedersehen, Sophia", sagte er dann und lachte. „Ich wünsche euch einen schönen Tag, Kinder.
Fahr los!" rief er Jack zu, während Mary von der lebhaften Schar ins Haus gedrängt wurde. „Worauf wartest du noch?"
„Hm, vielleicht bleibe ich lieber hier."
„Bleiben? Bist du verrückt geworden? Du wärst nach einer Stunde taub. Wir gehen zu Annabella und fahren hinterher spazieren. Irgend jemand gibt bestimmt ein Diner, oder wir
essen in der Stadt zu Abend. Wir bleiben so lange, bis die kleinen Ungeheuer schlafen gegangen sind. Nun fahr endlich los! Wir sind schon spät dran für das Mittagessen, und Annabella wartet nicht gern."
Bei der Erwähnung dieses Namens stieg in Jack wieder Zorn auf. Ihm fiel ein, wie sie Mary übergangen hatte, als sie ihr zuvor begegnet waren. Es verlangte ihn nicht danach, den Tag mit ihr zu verbringen, und doch schien er keine echte Entscheidungsfreiheit zu haben. Gray hatte recht, was das Bleiben anbetraf. Die Haustür war nun zwar verschlossen, aber Jack konnte sich dennoch gut vorstellen, was drinnen geschah. Alle würden nach Mary rufen, und sie würde einem nach dem anderen geduldig und gutgelaunt antworten. Jack wünschte, ihr helfen zu können.
Aber wie? Nur töricht würde er wirken, wenn er ihr zu Hilfe eilte. Und so trieb er, wenn auch widerwillig, das Pferd an. Obwohl der Tag immer noch schön war, schien er nichts mehr davon wahrzunehmen.
6. KAPITEL
Weihnachten rückte näher. Sophias Brut war kaum versorgt, als Florence mit ihren beiden Kindern eintraf. Die Ehemänner mußten noch arbeiten und wurden erst am Heiligabend erwartet. Nun vibrierte das Haus vor Leben und Aktivität, und Mrs.
Parkers Küche war das Zentrum geworden. Von dort kamen Leckereien in solcher Menge und mit solcher Regelmäßigkeit, daß die Kinder bald wie Hunde mit der Nase in der Luft herumgingen und nach den Düften von Lebkuchen, Rosinenpudding und Apfelkuchen schnupperten.
Jeder war damit beschäftigt einzukaufen, Besuche zu machen oder hinter verschlossenen Türen Geschenke zu basteln. Aus hastig versperrten Schreibtischschubladen lugten kleine Stückchen Band oder Goldpapier, und verräterische bunte Flitterplättchen klebten an Teppicüen und Röcken. Sie sollten gemeinsam mit Tüchern zum Abtupfen von Schreibfedern, phantasievollen Stecknadelkissen und Buchzeichen den Weg in ausgehängte Strümpfe oder an den Baum finden. Emilys Vater, der eine Farm auf dem Land besaß, lieferte eine weitere Wagenladung voll Tannenzweigen. Girlanden aus Schierlingstannen- und Kiefernzweigen schmückten Kaminsimse und
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