Historical Weihnachtsband 1990
gab.
Eingehend betrachtete Daniel die Frau am Fuß der Windmühle. Auf die Entfernung war sie schwer zu erkennen, doch schien sie weder jung noch hübsch. Ihre Gestalt war massig, die
Kleidung einfach und dunkel und das Gesicht abgehärmt und farblos. Wie sie zu ihm aufgeschaut hatte, war ihr der Hut vom Kopf gerutscht und hing ihr nun über den Rücken. So konnte er sehen, daß sie ihr dunkles Haar auf eine Art hochgesteckt hatte, die nicht im geringsten den Wunsch entstehen ließ, es offen zu sehen oder durch die Finger gleiten zu fühlen. Sie schien von der einfachen und praktischen Sorte, nicht so wie diejenigen, die einen Mann zu verführen oder zur Ehe zu verleiten suchten. Möglicherweise war sie jemand, der hart arbeitete, sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte und ihn in Ruhe ließ.
„Ich soll eine ganz gute Köchin sein", fuhr Melinda fort. „Sie könnten mich auf die Probe stellen. Lassen Sie mich etwas kochen und kosten Sie, wie es schmeckt.
Außerdem kann ich auch einen Haushalt führen."
MacKenzie runzelte die Stirn. Wenn er ehrlich war, brauchte er dringend jemanden.
Er konnte es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Außerdem war sie bereit, das Haus sauberzuhalten, was sich sein Koch immer zu tun geweigert hatte. „In Ordnung", meinte er widerstrebend. „Ich stelle Sie als Köchin und Haushälterin ein
— auf Probe, um zu sehen, wie Sie sich machen."
Erleichtert stieß Melinda den Atem aus. Einen Augenblick lang hatte sie gefürchtet, er würde nein sagen. Und egal, wie kalt und einsam dieses Haus wirkte, oder wie unangenehm sein Besitzer sein mochte oder wie überzeugt sie war, daß es ihr keinen Spaß machen würde, da zu arbeiten: Sie brauchte das Geld. „Vielen Dank. Sie werden es nicht bereuen."
Mit einem Knurren drückte er seine Zweifel aus. „Wir werden sehen." Er gestikulierte mit dem Schraubenschlüssel in der Hand. „Eines will ich sofort klarstellen. Ich bin Junggeselle, und das gefallt mir so. Ich habe keine Heiratspläne, und falls Sie Absichten in dieser Richtung haben, vergessen Sie es lieber gleich."
Melinda starrte ihn an. Welche Unverschämtheit, welche Arroganz! Als ob sie versuchen würde, ihn dazu zu bringen, sie zu heiraten. „Nun, ich bin auch zufrieden, so wie ich bin. Und Sie dürfen sicher sein, falls ich einen Ehemann suchen würde, wären Sie nicht unter den Kandidaten."
Verblüfft blinzelte MacKenzie. Ihre Erwiderung reizte ihn unwillkürlich zum Lachen, doch er beherrschte sich. „Sie können das hintere kleine Haus nehmen. Morgen fangen Sie mit der Arbeit an. Ich werde einen der Männer schicken, um Ihre Sachen zu holen. Wo sind Sie zu finden?"
„Auf der Ballard-Farm, südöstlich von hier. Sie liegt an der Straße zur Ranch der McClures", antwortete Melinda.
MacKenzie nickte. „Er wird gleich morgen früh vorbeikommen."
Damit wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Melinda blieb noch einen Moment stehen und schaute zu ihm hinauf. Daniel MacKenzie war der ungehobelste Mann, der ihr je begegnet war. Nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte er. Wieder legte sie die Hände um den Mund und rief: „Ich heiße Mrs. Ballard!"
MacKenzie schaute zu ihr hinab, als wäre er überrascht, sie immer noch vorzufinden.
Dann drehte er sich um und arbeitete ohne ein einziges Wort weiter. Das war das erste, aber nicht das letzte Mal, daß sich Melinda vorstellte, wieviel Spaß es machen würde, ihn gegen das Schienbein zu treten.
★
Melinda kehrte zu der Hütte zurück, in der sie und ihr Sohn lebten. Lee war bereits dort. Sie faßte ihn an den Händen und tanzte lachend mit ihm durch das einzige Zimmer des Hauses. „Ich habe Arbeit! Ich habe Arbeit!"
Sie erzählte ihm nicht, daß ihr zukünftiger Arbeitgeber so hochmütig und rüde war, daß sie sich fragte, ob sie es dort überhaupt aushalten würde. Wenn sie nur daran dachte, wie er ihr beschieden hatte, daß sie am nächsten Morgen umziehen sollte, ohne ein einziges „wenn es Ihnen recht ist" oder „geht das in Ordnung".
Offensichtlich erwartete Daniel MacKenzie von seinen Angestellten, daß sie sprangen, wenn er es verlangte. Es überraschte Melinda gar nicht, daß er so große Schwierigkeiten hatte, einen Koch zu halten.
Aber weshalb hätte sie Lees Freude trüben sollen? Außerdem hatte sie Arbeit, und das war das allerwichtigste. Sie könnte sich
selbst und Lee versorgen, ohne daß sie Lees Land verkaufen mußte. Und, was vielleicht das Beste von allem war, sie konnten aus
Weitere Kostenlose Bücher