Historical Weihnachtsband 1991
Spiegel. Das zinngraue Kleid und der strenge Knoten im Nacken ließen sie wesentlich älter erscheinen. Unwillig löste sie die Haarnadeln und frisierte sich nach Philips Tod zum erstenmal wieder anders, nahm die Strähnen an den Seiten und steckte sie lose fest. Das ließ die Augen größer und sanfter erscheinen.
Als Angelica gewohnheitsmäßig nach der Trauernadel griff, zögerte sie auf einmal.
Mit der Fingerspitze zeichnete sie die Kontur der Trauerweide aus Onyx nach und öffnete den Deckel. Unwillig schaute sie auf die winzige Strähne von Philips Haar und schüttelte den Kopf, bevor sie das Schmuckstück zusammenklappte und in einer kleinen Schublade verschloß. Statt der Erinnerungsbrosche heftete sie eine Kamee ans Kleid und eilte hinunter. Nun mochte der Tag beginnen.
Später am Vormittag erschien Mr. Hart, ein Mann Anfang Fünfzig und langjähriger Mitbewohner, mit einer Dame am Arm im Haus.
„Diese . . junge Dame ist Ihnen nicht unbekannt, Mrs. Hamilton", sagte er einleitend und wies auf seine Begleiterin.
„Natürlich nicht." Angelica lächelte. „Wie geht es Ihnen, Miss Blanche?"
Die „junge Dame" war nicht wesentlich jünger als ihr Verehrer.
Sie erwiderte das Lächeln und schaute verschmitzt zu Mr. Hart auf.
„Oh, sehr gut, danke", antwortete sie.
„Ich will mit der Tatsache nicht hinterm Berg halten", fuhr Mr. Hart launig fort, „daß dieses liebenswürdige Geschöpf sich schon lange meiner Bewunderung erfreut." Er strahlte, ein tiefer Atemzug bewirkte, daß die Weste sich über dem Bauch spannte.
Miss Blanche errötete wie ein kleines Schulmädchen. Angelica unterdrückte ein Lachen. Zugestandenerweise waren die beiden ältlichen Leutchen seit mindestens zwei Jahrzehnten miteinander befreundet.
„Und heute morgen hat diese schöne Frau mich zum glücklichsten Mann der Welt gemacht", erklärte Mr. Hart mit deutlichem Stolz. „Sie hat eingewilligt, meine Frau zu werden."
„Das ist ja wunderbar!" Herzlich umarmte Angelica das späte Brautpaar. „Und wann soll der große Tag sein?"
„Der ist heute. Wir kommen eben von unserer Trauung. Darf ich Ihnen die frischgebackene Mrs. Hart vorstellen?"
Die Erwähnte senkte die Lider. „Er war so schrecklich ungeduldig, müssen Sie wissen."
Angelicas Lächeln vertiefte sich. Einen zwanzigjährigen Beinahebrautstand hätte sie nicht eben als Ausdruck besonderer Ungeduld gewertet.
„Ich bin immer dafür gewesen, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist", stellte Mr. Hart zufrieden fest. „Wozu sollte man denn kostbare Zeit verschwenden?"
Mrs. Blanche Hart strich sich über das graue Haar. „Niemals hätte ich mir träumen lassen, eine Weihnachtsbraut zu werden, beinahe wenigstens."
Die harmlose kleine Bemerkung erinnerte Angelica an ihre eigene aufgelöste Verlobung mit Matthew Thornton. Wenn damals alles gutgegangen wäre, hätte Angelica als echte Weihnachtsbraut am Heiligen Abend geheiratet. Das Lächeln war nicht mehr ganz so innig, als sie sagte: „Ich freue mich so sehr mit Ihnen. Das muß gebührend gefeiert werden. Ich werde Peggy helfen, einen Schinken zu kochen und den Rosinenkuchen zu
backen, den Sie beide so gern essen."
„O nein, machen Sie sich doch unseretwegen keine solchen Umstände", widersprach Blanche schüchtern. „Ich würde ganz verlegen, wenn sich auf einmal alles um uns drehte."
Wäre nicht das eisengraue Haar gewesen, nicht so manche verräterische Falte, Blanche Hart hätte wirklich ein verschämtes Bräutchen sein können.
Angelica beharrte auf ihrer Entscheidung. „Es ist das Recht einer jeden Braut, daß man sie in den Mittelpunkt stellt. Hat man schon jemals anderes gehört? Und Sie haben Ihr glückliches Geheimnis lange genug für sich behalten." Das Lachen in den braunen Augen strafte dabei den betont tadelnden Tonfall Lügen.
„Mr. Hart war eben so ungeduldig", wiederholte die frischgebackene Ehefrau und schob die Hand unter den Arm ihres Mannes.
Der sah so stolz und zufrieden in die Welt, daß jeder tiefe Atemzug die Knöpfe des Jacketts zu sprengen drohte. „Meine Frau und ich würden gern auch gemeinsam hier wohnen", kam er nun zur Sache. „Natürlich nur, wenn es Ihnen keine besonderen Umstände bereitet, Mrs. Hamilton."
„Oh, ich würde mich ganz still und zurückhaltend benehmen", versicherte Blanche Hart. „Sie würden meine Anwesenheit bestimmt nicht als störend empfinden."
„Ich könnte mir nicht denken, daß Sie nun etwa nicht bei mir wohnen sollten.
Schließlich
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