Historical Weihnachtsband 1991
Geoffrey hinausgegangen, um den Baum zu holen. Angelica unterhielt sich über Nichtigkeiten mit Phoebe, um einem Gespräch mit Matthew auszuweichen. Sie wollte diese letzte Stunde mit ihm bis zur Neige auskosten, und dazu brauchte sie etwas Abstand zu ihm. Die Kinder würden vermutlich ebenso von dem Anblick eines lebenden Baumes im Salon überwältigt sein, wie Angelica es jetzt war.
„Was wohl Papa und Mama sagen werden?" fragte sie atemlos.
„Das haben wir bereits hinter uns", gab Phoebe zurück und griff nach der Schachtel mit den Kerzen. „Deshalb schmollten sie und verzichteten darauf, uns zu dem Feuerwerk zu begleiten." Sie lächelte schalkhaft und wirkte einen Augenblick lang wie eine ältere Ausgabe der blonden Stella. „Aber sie schmollen gewiß nicht lang genug, um morgen nicht mit uns zu feiern. Papa hat mir schon zugeflüstert, daß er gleiche Pferdchen für die Buben habe, und Mutter murmelte etwas von einem Schaukelpferd für die Kleine."
„Die alten Herrschaften müssen sich erst daran gewöhnen. Weihnachtsbäume sind noch eine große Neuheit", erklärte Geoffrey. „Ihr wißt doch, wie sehr die Eltern am Alten festhalten."
Matthew schien Angelicas Befangenheit nicht zu bemerken und half Geoffrey, die hohe Tanne zwischen die großen Fenster zu stellen, die zur Straße hinausgingen.
Dann kniete er sich hin und bauschte ein weißes Laken um den Fuß des Baumes.
Damit
wollten sie Schnee vortäuschen. Phoebe und Angelica steckten die weißen Kerzen in die Metallhalter, und die Herren befestigten sie an den Zweigen. Der würzige Reisigduft zog durch den Raum, im Kamin knisterten die Holzscheite in den Flammen. Die heimelige Stimmung hatte etwas von der einer Weihnachtskarte.
Angelica hatte Schneeflocken, silbern und weiß aus Papier geschnitten, mitgebracht und Girlanden aus tiefgrüner Stechpalme mit roten Beeren. Gemeinsam mit Matthew wand sie die Kränze um den Baum und hängte die zierlichen Sterne in die Zweige. Das Ehepaar Addams ging hinauf, die Geschenke zu holen.
„Nächstes Jahr werde ich vielleicht auch einen Weihnachtsbaum für meine Pensionsgäste aufstellen", sagte Angelica nach einer Weile, bemüht, das lastende Schweigen mit einem belanglosen Geplauder zu durchbrechen. „Vielleicht haben die jungen Schauspieler schon einen gesehen, aber die anderen bestimmt noch nicht.
Man könnte auch einen im Vordergarten aufstellen für die Kinder der Umgebung.
Das wäre gewiß sehr hübsch."
„Ich frage mich, wo wir nächstes Jahr um diese Zeit sein werden." Matthew kam völlig zusammenhanglos auf das unterbrochene heikle Gespräch zurück. „In einem Jahr kann so viel geschehen." Er legte seine Hand über die ihre und nahm ihr die Papierschneeflocken aus den Fingern. „Angelica", sagte er, und fast klang es wie ein Liebesschwur.
Sie hob den Kopf, wie magisch angezogen von der Stimme. Und all die Jahre, die sie fern voneinander gewesen waren, schienen ausgelöscht. Draußen sangen Vorübergehende alte Weihnachtsweisen, Schlittenglöckchen bimmelten hell. Und doch gab es auf einmal nichts mehr auf der Welt als nur sie beide.
Er beugte sich langsam zu ihr nieder, bis seine Lippen ganz dicht über den ihren waren. Unwillkürlich legte sie ihm beide Arme um den Nacken. Als hätte Matthew Thornton nur auf dieses Zeichen gewartet, verschloß er ihren Mund mit einem leidenschaftlichen Kuß.
Wie oft hatte Angelica davon geträumt, an Matthews Brust zu liegen, und doch war all diese Vorstellung nichts, verglichen mit der Wirklichkeit dieser Umarmung. Er war ihr so nahe, war so stark, als könnte er sie vor allem Unbill schützen, und hielt sie so fest. Ihr war, als könnte sie sich nie mehr von ihm lösen.
Alle Ängste, alle Zweifel versanken im Nichts, wurden weggewischt von lebendiger, zärtlicher Liebe.
Angelica hörte das leise Geräusch von irgendwoher erst nicht, hätte es auch nicht beachtet, wenn nicht Matthew sie freigegeben hätte. Seine Augen waren immer noch dunkel und glühend vor Erregung. Obwohl Angelica meinte, am ganzen Körper zu zittern, riß sie sich zusammen, trat einen Schritt von Matthew weg und wandte sich dem Baum zu.
Phoebe und Geoffrey, beladen mit Schachteln und Paketen, traten in den Salon und setzten ihre Schätze auf dem Flügel ab. Phoebe warf den beiden einen raschen Blick zu, als spürte sie, was zwischen ihnen vorgegangen war, schwieg aber wohlweislich.
Angelicas Atem kam und ging in raschen Zügen. Sie wagte Matthew nicht anzuschauen, ohne sich zu
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