Historical Weihnachtsband 1991
vor drei Monaten nicht erlebt.
„Gerade neulich erst hast du gesagt, daß deine Verehrer dich langweilen und du dich ebensogut verheiraten könntest, um dem ganzen Spuk ein Ende zu setzen."
Ruth starrte ihren Ehemann entgeistert an. „Das ist doch nicht dein Ernst!"
„Und ob es mir Ernst ist, meine Liebe! Mir steht Amelias überhebliches Gehabe bis hier . . ." Er unterstrich seine Worte mit der entsprechenden Geste. „Entweder soll sie die Wette annehmen oder von jetzt an den Mund halten."
„Ich glaube, ich höre nicht recht." Ruth stieß Carltons Hand beiseite und stand auf.
„Ich gehe schlafen. Kommst du mit?"
„Ich komme gleich."
Ruth marschierte hinaus.
Voll auf Carltons erniedrigende Rede konzentriert, hatte Amelia ihrer Schwägerin kaum Beachtung geschenkt. „Anscheinend hast du dir das alles schon hübsch zurechtgelegt, Bruderherz", sagte sie schließlich zornig. „An wieviel Spiele hattest du also gedacht?"
„So viele, bis einer der Beteiligten fünfhundert Dollar gewonnen hat. Aber ich spiele gar nicht mit."
Amelia blickte Carlton düster an, der sich jetzt gemütlich auf dem Sofa räkelte. „Und was soll das jetzt wieder heißen?"
„Wenn es um einen so hohen Einsatz geht, dann will ich es dir nicht zu leicht machen. Du wirst mit Yancy Medford spielen."
Unter ihren Freunden war der Name einige Male gefallen, aber sie hatte kaum darauf geachtet, was geredet wurde. „Wer ist dieser Mann? Ein Glücksritter, oder einer von diesen Zinkern, wie sie sich in den Saloons von Calico herumtrieben?"
Carlton stand langsam auf. „Du kennst ihn nicht. Er ist zwar in gewissem Sinne ein Schwerenöter, aber nicht von der Sorte, die du meinst. Er ist schwerreich, besitzt eine Schiffsflotte und hält sich erst seit einem Jahr hier auf. Er ist Mitglied des Herrenclubs, und ich habe mehrmals Poker mit ihm gespielt. Was ist los, Schwesterlein", schalt er sie, „hast du Angst, du könntest nicht so gut sein, wie du glaubst, daß du bist?"
Mit entschlossener Miene blickte Amelia ihrem Bruder in die Augen. „Du hast recht. Das Leben hier ödet mich an. Für wann willst du das Spiel ansetzen?"
„O nein! Darum wirst du dich kümmern." Carlton war jetzt völlig ernst geworden.
„Und — falls du nicht spielst oder verlieren solltest, wirst du bis Weihnachten heiraten. Oder du kannst die Herausforderung ablehnen, indem du zugibst, daß du nicht besser oder anders bist als alle Frauen. Ich bin deiner hochmütigen Haltung mehr als überdrüssig, Amelia. Auch müßtest du dich bei Ruth dafür entschuldigen, daß du gesagt hast, daß sie angeblich ihre Dienstboten falsch behandelt."
„Aber das tut sie doch wirklich!" Amelia war wütend. Hätte sie gewußt, wohin sie sich wenden könnte, sie hätte auf der Stelle das Haus verlassen. Wie konnte er sich erdreisten, solche Dinge zu ihr zu sagen? Sie hatte ein Mädchenpensionat besucht und Europa bereist — welches Mädchen in der Stadt konnte das schon von sich behaupten? Sie war eine kultivierte Frau, eine Frau von Format, und er sollte stolz auf sie sein, anstatt sie zu demütigen. Wenn es also eines Pokerspiels und des Verlustes eines prämiierten Hengstes bedurfte, um seinen Respekt zu erringen, so sollte es denn sein.
Alle Gefühle beiseite schiebend, sagte sie gefaßt und in ruhigem Ton: „Also gut.
Allerdings finde ich, daß das Risiko ziemlich einseitig ist. Wenn ich gewinne, wirst du mir auch die neue Stute geben, die du vor zwei Wochen gekauft hast, zusammen mit einer Entschuldigung für deine unfairen Beschuldigungen."
„Abgemacht!"
„Und noch eins, Bruder. Für den zweifelhaften Fall, daß ich verliere — wird es mir gestattet sein, meinen Bräutigam selbst auszusuchen?"
„Natürlich."
„Und wenn er sich weigert, mich zu heiraten?"
„Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ich werde schon Sorge tragen, daß er den Weg zum Altar findet."
Als Carlton die Treppe hinaufeilte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, war er selbst verwundert über den Zorn, den er verspürte. Was anfangs lediglich dazu bestimmt war, seiner
Schwester dazu zu verhelfen, etwas von ihrem alten Selbst wiederzugewinnen, war in einen regelrechten Streit ausgeartet. Es war nicht seine Absicht gewesen, sich so hinreißen zu lassen, auch hatte er ursprünglich nicht vorgehabt, Amelia für den Fall, daß sie die Wette verlor, eine Heiratsverpflichtung aufzuerlegen. Jetzt fragte er sich, ob eine weihnachtliche Heirat nicht doch genau das richtige für sie
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