Historical Weihnachtsband 1991
schließlich von draußen hereingeschlendert. Ungeduldig wartete sie, bis er ihre Lieblingsstute gesattelt und das Tier zum Aufsitzblock geführt hatte. Sobald sie fest auf dem Damensattel saß, nahm Amelia die Zügel und ritt los.
Sie freute sich an der warmen Brise, die aus der Bucht herüberwehte, und hielt die verspielte Mähre in leichtem Trab. Der Himmel war strahlend blau, kaum eine Wolke war zu sehen, und die Sonne schien hell. Ein perfekter Tag zum Reiten, dachte Amelia, aber leider waren ja Geschäfte zu erledigen. Daß Mary vielleicht nicht daheim sein könnte, kam ihr nicht einmal in den Sinn. Glücklich verheiratet und mit allen Anzeichen einer baldigen Niederkunft, ging diese nur selten aus dem Haus.
Nachdem sie angekommen war und mit Mary ein wenig über dies und das geplaudert hatte, kam Amelia bald auf ihren Plan zu sprechen. Die Freundin war entsetzt.
„Ich kann es nicht glauben, daß ausgerechnet du so etwas auch nur in Erwägung ziehen kannst!" rief sie aus. Sie widmete sich ihrem Tee und wich Amelias Blicken aus.
„Hast du vielleicht eine bessere Idee?"
„Aber sich, als Mann verkleidet, Zutritt zum Herrenclub zu verschaffen, um Poker zu spielen, das ist doch das Absurdeste, was mir je zu Ohren gekommen ist! Ich weiß, du willst dich nur über mich lustig machen. Zuviel steht dabei doch auf dem Spiel."
Mary brach in ein helles Lachen aus. „Aber es wäre schon ein toller Streich. Ich habe mich schon immer gefragt, wie es im Innern dieses Gemäuers zugeht." Mühsam beugte sie sich vor, um ihre Tasse und Untertasse auf dem Tisch abzustellen. „Ach, wie froh werde ich sein, wenn das Baby endlich da ist. Vier Wochen noch, das erscheint mir wie eine Ewigkeit."
„Mir ist es vollkommen Ernst damit, Mary. Entweder begebe ich mich in die Höhle des Löwen, oder binnen Jahresfrist sitze ich ebenso da wie du jetzt."
Jetzt versuchte Mary erst einmal, es sich in ihrem Sessel bequem zu machen. „Wann soll es denn losgehen?" fragte sie, nun plötzlich hellwach. Niemand verstand es so gut, ihrem Leben Würze zu verleihen, wie Amelia.
„Mittwoch in einer Woche."
„Das paßt mir gut. Paul wird dann nicht in der Stadt sein. Was soll ich dabei tun?"
Amelia runzelte die Stirn. „Ich habe beschlossen, mich Carltons Garderobe zu bedienen, aber sie müßte geändert werden. Er hat soviel Zeugs zum Anziehen, daß er es gar nicht vermissen wird. Ich werde mich hier bei dir umziehen und auch die Nacht hier verbringen."
„Und wenn Carlton ebenfalls in den Club kommt?" fragte Mary, die Gefallen an der Intrige zu finden begann. In der Tat war dies der größte Spaß, den sie gehabt hatte, seitdem sie schwanger geworden war.
„Das wird er nicht. Er und Ruth haben an diesem Abend Gäste.
Ich denke, ich sollte mir einen von Carltons Zylinderhüten aufsetzen."
„Den wirst du dann aufbehalten müssen, und die Männer werden sich fragen, warum du ihn nicht abnimmst."
„Ich werde sagen, er bringt mir Glück."
„Aber Paul darf nicht dahinterkommen, daß ich eine Rolle dabei gespielt habe, Amelia. Es würde ihn rasend machen." Mary lachte leise in sich hinein. „Ich habe nicht vergessen, in was für Schwulitäten du mich früher immer gebracht hast."
Amelia lächelte. „Weder Paul noch sonst jemand außer Carlton braucht etwas zu erfahren."
2. KAPITEL
Was wohl hatte Amelia Simpson veranlaßt, ihn um einen Besuch zu bitten, fragte sich Yancy Medford, an die Kante seines Schreibtisches gelehnt und die Stirn über der Note in seiner Hand runzelnd. Das Schreiben kam überraschend. Obwohl er der Dame noch nie leibhaftig begegnet war, so war ihm doch einiges über sie zu Ohren gekommen. Es hieß, sie sei eine Schönheit, überaus selbstsicher und geradezu eine Meisterin in der Kunst, Männerherzen zu brechen. Natürlich ging Yancy davon aus, daß sie darüber hinaus auch eingebildet, langweilig und verzogen sein würde.
Yancy verkehrte größtenteils mit Junggesellen, wie er selbst einer war, sowie mit älteren, erfahreneren Damen als jenen jungen, die auf der Suche nach Ehemännern waren. So war es erklärlich, daß er Miss Simpson bislang nicht begegnet war. Und vor allem stand er als Heiratskandidat nicht zur Debatte, was ihn wiederum zu der ursprünglichen Frage zurückführte: Warum wollte Miss Simpson ihn kennenlernen?
Wegen seines Rufes? Obwohl er wahrscheinlich einiges, was man sich so über ihn erzählte, durchaus verdient hatte, waren andere Dinge doch weit überzogen.
Glaubte sie, er sei
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