Historical Weihnachtsband 1991
ablieferte, hatte Amelia eine ganze Menge über Mr.
Medford in Erfahrung gebracht. Das wichtigste jedoch war, daß der in Frage stehende Gentleman mittwochs abends Karten spielte, und zwar ausschließlich im Herrenclub, was Carlton ihr wohlweislich verschwiegen hatte. Kein Wunder also, daß er die Bedingung aufgestellt hatte, daß er der Sieger war, wenn das Spiel nicht zustande kam. Aber Amelia dachte gar nicht daran, sich geschlagen zu geben, jedenfalls nicht kampflos. Es mußte schließlich irgendeinen Weg geben, ein Spiel auf die Beine zu stellen — man mußte sich nur hinsetzen und einen Plan austüfteln.
Und Amelia ließ die Zeit nicht ungenutzt verstreichen, sie machte ihre Hausaufgaben. Es war immer gut, soviel wie möglich über seinen Gegner in Erfahrung zu bringen. Sie besuchte viele ihrer Freundinnen und verabsäumte es dabei nie, Yancy Medford ins Gespräch zu bringen. Und sie achtete nun auch sorgfältig auf das, was über ihn geredet wurde. Die Meinungen waren einhellig: Er war unglaublich attraktiv, sehr männlich und ein notorischer Frauenheld. Seine neueste Eroberung war die junge Witwe Brookmire, die sich in letzter Zeit damit brüstete, ihn zu
ihrem zweiten Ehemann küren zu wollen. Auch fand Amelia heraus, wo der Gentleman wohnte.
Mehr als einmal ließ Amelia ihren Kutscher am hochherrschaftlichen Haus des verrufenen Mannes vorbeifahren — in der Hoffnung, ihm „zufällig" zu begegnen. Ihr Plan war einfach: Sie wollte ihn in ein Gespräch ziehen, nach seinem Namen fragen, Überraschung heucheln und ihm dann von der Wette mit ihrem Bruder erzählen. Als der Gentleman, der er war, würde er zweifellos einem privaten Spiel zustimmen.
Doch leider sah sie niemals jemand anderen als die Dienstboten in dem Haus ein und aus gehen.
Da sich diese Vorgehensweise als reine Zeitverschwendung erwies, sandte Amelia Mr. Medford ein Billet, in dem sie ihn bat, ihr seine Aufwartung zu machen. Eine Woche verging, aber er ließ sich nicht sehen. Ja, er besaß nicht einmal soviel Höflichkeit, sie auch nur einer Antwort zu würdigen!
Amelia begann eine ernsthafte Abneigung gegen den anscheinend unerreichbaren Schwerenöter zu entwickeln. Er scherte sich nicht um Etikette, und er scherte sich nicht um sie. Letzteres erschien ihr als die schwerwiegendere Verfehlung.
„Sag mal, Amelia", meldete sich Carlton eines Abends beim Essen zu Wort, „wie kommst du denn mit dem Spiel voran?"
„Es war unfair von dir, diese Wette vorzuschlagen."
„Zugegeben, aber wer ein ordentlicher Glücksspieler sein will, der muß solche Risiken eingehen."
„Wenn mir Freunde den Mann nicht beschrieben hätten", sagte Amelia, „so könnte man meinen, er wäre deiner Phantasie entsprungen."
Interessant, dachte Carlton, daß offenbar keiner von Amelias Freunden wußte, daß Medford außerhalb der Stadt gewesen war. „Oh, der ist genauso wirklich wie du und ich. In der Tat bin ich ihm erst gestern abend begegnet, und zwar im Club. Ich weiß aber nicht, wie lange er noch in San Diego bleiben wird, denn ursprünglich kam er her, weil hier ein Seehafen angelegt werden sollte, aber jetzt scheint man sich statt dessen doch für Los Angeles entschieden zu haben."
Carltons anzügliches Grinsen machte Amelia nur um so entschlossener. Die Zeit verging, und das zwang sie, zu drastischeren Mitteln zu greifen.
Als sich der Gedanke in ihrem Unterbewußtsein zu formen begann, war sich Amelia ihrer Sache keineswegs sicher. Es war ein durch und durch lächerlicher Plan — schon der Gedanke daran schockierte sie zutiefst. Falls man ihr auf die Schliche kam, würde ihr Name noch Jahre später in aller Munde sein. Nie würde sie über die Schmach hinwegkommen, hingegen würde es ihr die Einlösung desjenigen Teils der Wette ersparen, der ihre Heirat betraf, denn respektable Familien würden es ihren Söhnen dann nicht mehr gestatten, sie zu ehelichen. Wahrscheinlich würde ihr am Ende nichts anderes übrig bleiben, als nach Europa zurückzukehren, was ihr im Moment nicht einmal als das größere Übel erschien. Warum nur hatte sie sich von ihrem Stolz in eine solche Falle treiben lassen? Amelia schenkte sich die Antwort, im nachhinein war man sowieso immer schlauer. Statt dessen beschloß sie, sich der Dienste ihrer langjährigen Freundin Mary Broom zu versichern.
Mit einem teuren himmelblauen Reitkostüm angetan, begab sich Amelia zu den Ställen, wo sie nach dem Reitknecht Ausschau hielt. Nachdem sie ihn mehrmals gerufen hatte, kam er
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