Historical Weihnachtsband 1992
endlich dingfest gemacht werden. Meine Dienstboten beklagen sich auch, daß Schinken und Würste aus unserer Räucherkammer fehlen.
Der Bursche ist wirklich unverschämt!"
„Wie wahr!" bekräftigte Miss Duncan leise, daß nur Lord Lindsay es hören konnte.
„Aber Sie sollten sich schämen! Hätte ich gewußt, daß Sie hier sind, wäre ich nicht gekommen!"
„Oh, Miss Duncan", flüsterte er ihr zu und schob, ohne sie um Erlaubnis zu fragen, den Arm unter ihren, um sie in den Speisesaal zu geleiten. „Ihr feuriges Temperament muß das Blut eines jeden Mannes in Wallung bringen, und sei es vor Zorn, wenn nicht aus Leidenschaft! Es tut mir leid, wenn ich Sie enttäuscht habe, aber es geht mir besser. So schnell wird die Totenglocke nicht für mich läuten."
„Darauf möchte ich lieber nicht schwören, Mylord", zischte Blair Duncan. „Wenn Sie nicht endlich die unverschämten Bemerkungen unterlassen, bringe ich Sie eigenhändig um!"
Die einzige Antwort, die ihr diese Drohung einbrachte, war allerdings, daß er im Vorrübergehen in eine Silberschale griff, Miss Duncan ein Stück Konfekt in den Mund steckte, den Kopf in den Nacken warf und so herzlich lachte wie schon lange nicht mehr.
Sie schluckte hastig und sagte dann spitz: „Sie haben alle Eigenschaften, die ich an einem Mann verabscheue!"
„Dann verhehlen Sie Ihre Gefühle geradezu bewundernswert, Madam. Als ich neulich Duncan House verließ, hätte ich schwören mögen, daß Sie mich ganz und gar nicht abstoßend fanden", stellte er fest und fragte sich verblüfft, warum er sich nicht für den Kuß entschuldigt hatte. Ein einziger Blick in Miss Duncans blitzende Augen aber rief in ihm ein Gefühl hervor, das ihn alles vergessen ließ, was er je über anständiges Betragen gehört hatte. Selbst der Umstand, daß Haverbrook in der Nähe war und ihn mit Belustigung und Interesse beobachtete, dämpfte seine Erregung nicht.
„Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden", sagte Blair Duncan über die Schulter und trat zum Büffet, um sich einen Teller zu füllen.
„Soll ich Ihrem Gedächtnis nachhelfen?" fragte Lord Lindsay so gedämpft, daß nur sie ihn verstehen konnte. „Es gibt
hier eine Menge verschwiegener Nischen, in denen wir ungestört sind."
„So etwas würde kein Gentleman vorschlagen", erwiderte sie errötend.
„In Ihrer Nähe bin ich eben kein Gentleman", entgegnete er und neigte ihr den Kopf zu. Sie sollte endlich die Wahrheit erfahren. „Wenn Sie bei mir sind, Blair, vergesse ich alle Hemmungen."
„Warum halten Sie sich dann nicht an meinen Rat und gehen mir aus dem Weg?"
fragte sie frostig. Was Lord Lindsay eben gasagt hatte, war beleidigend, und trotzdem rührte sie die Zärtlichkeit in seiner Stimme. Sie war nahe daran, alle Einwände zu vergessen, die sie ihm gegenüber hatte.
„Weil ich das nicht kann", sagte er schlicht.
„Dann muß ich Ihnen wohl behilflich sein", stellte sie leise fest. Bevor sie sich anders entschließen konnte, wandte sie sich um und ging zu Lord Haverbrook und den anderen Gästen, obgleich der Ausdruck in den Augen des Earl sie fast zum Bleiben veranlaßt hätte.
5. KAPITEL
Die Highlands hatten doch immer wieder ihren Zauber, selbst wenn der Tag verhangen war. Die Luft war feucht, und kleine Tropfen hingen Blair an den Wimpern. Sie band den Strauß aus Stechpalmzweigen zusammen und schaute sich um. Die sanft gewellten Hügel und Felsenhöhen sahen im blaugrauen Licht des späten Nachmittags in ihrer einsamen Großartigkeit wunderbar aus. Die Stille drang ins Herz und half, die Schönheit der unberührten Natur zu würdigen, einer Landschaft, in welcher der Schöpfer überall gegenwärtig war und der Mensch sich der Scholle verbunden fühlte, die er bebaute. Nichts kam der Stimmung auf dem Lande gleich und trug mehr dazu bei, Blairs Liebe zu Glenmuir und seinen armen Bewohnern zu vertiefen.
Nein, das Leben im schottischen Hochland war nichts für Schwache und Willenlose.
Nachdenklich zog Blair das Schultertuch über das lange Haar, um es vor der Nässe zu schützen. Der Stolz und die Errungenschaften zahlloser Generationen hielten sie und ihresgleichen hier und belohnten sie mit dem Gefühl, ein neues Morgen zu erleben.
Fortwährend sah der Mensch sich Anfechtungen ausgesetzt, die sein Begreifen überstiegen, und doch überwand er alles Leid und erfreute sich des Sieges. Lag hier nicht auch der tiefere Sinn des Jahreswechsels? Ein Jahr neigte sich, ein neues begann, unbeirrt von den Sorgen, die
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