Historical Weihnachtsband 1992
es jetzt auf dem Grund des Flusses, wenn ich es hätte loswerden wollen. Aber nach dem Krieg werden wir es gut gebrauchen können. Papas altes Ding fallt schon fast auseinander, wenn ich damit schieße.
Mittlerweile fehlt die Hälfe der Schrauben."
Er richtete einen beschwörenden Blick zum Himmel. „Wie hast du es nur geschafft, die ganze Zeit ohne mich zu überleben?"
„Ich hatte wohl keine Wahl", entgegnete sie und hauchte ihm eine leichten Kuß auf die Wange, wobei sie wieder errötete.
Sara wollte eigentlich gar nicht gehen. Die Kirche lag über eine Meile entfernt, und der Fußmarsch dorthin war nicht ganz ungefährlich, da die Straße am Fluß entlangführte.
Die Yankees hatten schon eine ganze Reihe Gotteshäuser in der Gegend beschlagnahmt, um dort ihre Verwundeten unterzubringen. Zum Glück war ihre eigene Kirche noch nicht davon betroffen.
Sie sagte sich, daß sie unbedingt hingehen mußte, um Gott für die Gnade zu danken, Robert gerettet zu haben. Doch der eigentliche Grund für ihren Kirchgang war, irgendwelche Neuigkeiten zu erfahren. Es ließ ihr keine Ruhe, bevor sie nicht wußte, wie groß die Gefahr war, daß Robert entdeckt werden könnte.
Die Gregorys waren da, die Gilberts und die Stevensens. Sie begrüßte Ada Morris, die alte Miss Cherry und nickte George Nixons Frau freundlich zu. Die meisten ihrer Bekannten hatten mindestens ein Familienmitglied bei der Bürgerwehr oder sogar bei den regulären Truppen. Daher war die Chance groß, nähere Informationen zu bekommen.
Nach einer kurzen Predigt, einem langen Gebet und einem Choral, den sie ohne Orgelbegleitung singen mußten, weil der Organist sich vor wenigen Monaten auch zu den Waffen gemeldet hatte, verließen sie wieder die Kirche.
Auf Saras kurzes Kopfnicken hin schoß Becky davon, ihren Freundinnen das neue Puppenkleid zu zeigen und ihnen von dem Teetisch und den passenden Stühlen zu erzählen. Sara hatte ihr schon zu Hause eingeschärft, nichts von der unvermuteten Rückkehr ihres Vaters zu erzählen.
„Sie sagen, daß Wilds Leute zwischen uns und Currituck Court House fast alles niedergebrannt haben", flüsterte ihr eine Witwe zu. Sara nickte höflich. Wegen solcher Nachrichten war sie nicht hergekommen.
„Treiben sich immer noch Yankees in der Gegend rum?" fragte sie. Ihre größte Angst war, daß die Männer, die Robert gebracht hatten, wieder zurückkommen könnten.
Der Himmel mochte wissen, welchen Bären er ihnen aufgebunden hatte. Er weigerte sich beharrlich, davon zu sprechen, und Sara ließ ihn in Ruhe, da sie fürchtete, ihn nur wieder an die gräßlichen Dinge zu erinnern, die er während seiner Gefangenschaft erlitten haben mußte.
„Auf dem Fluß wimmelt's nur so von diesen Teufeln, aber in der Nähe vom Haus hab' ich sie seit einer Woche nicht mehr gesehen", sagte Margaret Smith in ihrem für die Gegend typischen schweren Tonfall. „Sie haben mein letztes Mastschwein mitgenommen", fiel ihr schon etwas älterer Mann ein. „In der Hölle sollen sie schmoren und den Herrgott auf Knien um Gnade bitten", polterte er. „Wie soll ein Mann in solchen Zeiten seine Familie ernähren?"
Die Smiths hatten in der Schlacht um Roanoke zwei Söhne verloren, und von ihrem Enkel kam schon seit über einem Jahr keine Nachricht mehr.
„Haben Sie das von Miss Mary gehört?" fragte jemand anders. „Sie soll letzte Woche verhaftet worden sein."
Sara warf einen Blick in die Richtung, wo Becky mit den beiden Gilbert-Mädchen spielte. Dann schaltete sie sich wieder in das Gespräch ein.
„Meinen Sie die alte Miss Mary? Was soll die denn verbrochen haben?"
„Ach, sie werfen ihr vor, irgendeinen Yankee-Offizier vergiftet zu haben", wußte Ada Morris. „Die arme, wo sie doch schon fast achtzig ist."
„War sie es denn?"
„Zutrauen würd ich es ihr schon. Wenn sie sicher war, nicht erwischt zu werden . . ."
fiel eine direkte Nachbarin der alten Frau ein. „Aber es war so. Sie gehörte zu den Frauen, die in der
Kirche für diese verdammten Kerle kochen mußten. Und dann hat sie einen von diesen Offizieren dabei erwischt, wie er direkt neben dem Altar sein Geschäft erledigen wollte. Nachdem er sich reichlich den Bauch vollgeschlagen hatte mit dem Festessen, das sie für ihn kochen mußte."
„Festessen? Wo haben sie denn die ganzen Vorräte her?" fragte jemand anders begierig.
„Von dem Versorgungsboot natürlich, woher denn sonst", fuhr Ada Morris'
Nachbarin fort. „Da wär ich gern mal draufgewesen. Dann könnt
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