Historical Weihnachtsband 1993
Kattunkleides und sagte sich, daß sie es eigentlich doch noch ein weiteres Jahr würde tragen können. Es gab eben kein Geld für ein neues. Das Wenige, das Laura verdiente, steckte sie gleich wieder in die Farm. Mit einem Blick durch das behagliche Zimmer dachte sie daran, daß das Haus alles war, was sie besaß. Nur daß es seit dem Tode des Vaters auch ihren kargen Lohn als Schullehrerin verschlang, um halbwegs instandgehalten zu werden. Immerhin war es Laura gelungen, sich eine wohnliche, wenn auch recht bescheidene Bleibe zu erhalten, in die sie sich nach der Arbeit zurückziehen konnte. Auf den Schaukelstühlen lagen einige selbstgenähte Kissen, und ein bunter Flickenteppich bedeckte in der Mitte des Raumes den Fußboden. Die duftigen Vorhänge an den Fenstern waren einmal das Hochzeitskleid der Mutter gewesen. Aber es hatte nun schon so viele Jahre nutzlos in der Truhe gelegen, und es wäre eine Sünde gewesen, nicht noch etwas Brauchbares daraus zu nähen. Es gab Laura einen Stich, wenn sie daran dachte, daß sie ohnehin niemals eine Gelegenheit haben würde, das Brautkleid als solches zu tragen.
Nicht, daß es keine Männer in der Gegend gab, die Laura Conners gern geheiratet hätten, wenn es ihr darum zu tun gewesen wäre! Nate Bums etwa, der Witwer mit zwei kleinen Kindern, die eine Mutter brauchten. Er hatte keinen Zweifel im Städtchen daran gelassen, daß er es für seine moralische Verpflichtung hielt, der immer noch unverheirateten Schullehrerin ein Heim zu bieten. Doch Laura wußte, daß sie niemals einen Mann wie Nate heiraten würde, der eine so gewöhnliche Sprache führte, nicht einmal wenn man sie gefesselt und geknebelt zur Kirche schleppen würde! Dann gab es noch den Bankier, Jed McMasters, von dem einige munkelten, er werde eines Tages der reichste Mann im Distrikt sein. Freilich pflegte er kaum zu lächeln, außer, wenn er Geld zählte. Die übrige Zeit trug er eine Miene zur Schau, als hätte er gerade einen Frosch verschluckt.
Einmal war da ein Mann gewesen, ein einziges Mal. Laura stach sich mit der Nadel in den Finger und spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Schon wieder einmal ertappte sie sich dabei, müßigen Gedanken nachzuhängen, für die es in ihrem jetzigen Leben keinen Platz geben konnte. So nähte sie, bis das Feuer niedergebrannt war und ihr die Lider schwer wurden. Erst dann stellte sie den Korb mit der Handarbeit beiseite, faltete die Kleiderschürze zusammen und nahm die Petroleumlampe in die Hand.
Mit einem matten Seufzer ging Laura in ihr Schlafzimmer hinüber. Das Bild der Frau im Spiegel ließ sie zusammenzucken. Das Haar, in einen strengen Knoten gelegt, wurde von einigen Haarnadeln ordentlich zusammengehalten. Doch so sehr sich Laura Mühe gab, einer ehrbaren Schullehrerin gleichzusehen, es gelang immer wieder einigen Korkenzieherlocken, sich aus der Frisur zu lösen, sich an Schläfen und Nacken zu ringeln. Sie strich mit der Fingerspitze über die feinen Linien, die sich in den Augenwinkeln abzuzeichnen begannen. Es gab Tage, da schienen ihre Augen haselnußbraun, bald schimmerten sie wieder grünlich oder wie Bernstein. Heute abend, im matten Licht der Laterne, hatten sie dagegen einen gedämpften Kupferton. Das ziemlich formlos geschnittene Kleid, selbst genäht, verbarg völlig die Gestalt, die darin steckte. Der Vater hatte Laura oft gewarnt, die guten Leute von Bitter Creek erwarteten von der Schullehrerin, daß sie weder männlich noch weiblich wirkte, sondern eine geschlechtslose Respektperson sei wie etwa der Arzt oder der Pfarrer.
Laura hatte sich stets an die strengen Regeln gehalten, nach denen ihr Vater sie erzogen hatte, und sich die Achtung des Städtchens erworben. Sie vermied es, etwas zu tun oder zu sagen, was man als nicht ehrbar hätte bezeichnen können. So lebte sie ihr Leben ganz im Sinne der Lehren des Vaters nach dessen Geboten, deren Einhaltung sie sich auferlegte.
„Miss Conners", sagte sie mit einem Anflug von Sarkasmus und betrachtete ihr Spiegelbild. Der bloße Name ließ an eine schrullige alte Jungfer denken, die eine Schultafel, die Bibel und einen Rohrstock schwenkte.
Laura streifte das unförmige Kleid samt Unterröcken ab und schlüpfte in ein grobes Leinennachthemd. Dann bürstete sie ihr langes Haar, bis es glänzte, und musterte erneut die Frau im Spiegel. Manchmal hatte sie die Kinder außerhalb des kleinen Schulhauses von „unserer alten Miss Conners" flüstern hören. Vielleicht hatten sie gar nicht
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