Historical Weihnachtsband 1993
ein paar Dollars mehr bezahlen. Aber die Stadt hat gerade jetzt wenig Einnahmen. Und weil Sie ja schließlich keine Familie ernähren müssen . . ."Er zog die Schultern hoch und verstummte mit einer verlegenen Geste.
Laura schluckte. Sie hatte mit dem Geld gerechnet, um die Farm in halbwegs gutem Zustande erhalten zu können. Doch der Standpunkt des Bürgermeisters war durchaus verständlich. Es waren harte Zeiten für jedermann, und Leute mit Kindern bekamen dies gerade jetzt vor Weihnachten zu spüren. So bemühte sie sich, ihrer Summe einen unbekümmerten Tonfall zu geben, nach dem ihr freilich nicht zumute war. „Ist in Ordnung, Ned, ich schaffe es schon."
Er lächelte, schien erleichtert, sich seiner peinlichen Aufgabe entledigt zu haben.
„Ich wußte, daß Sie mich verstehen würden, Laura." Er tippte an den Hut und wandte sich ab. Jetzt sehen Sie besser zu, daß Sie weiterkommen, das Schneetreiben wird immer dichter."
Laura stieg auf den Wagen, nahm die schwere Decke um die Schultern und schlug leicht mit den Zügeln auf die Kruppe des Pferdes. Sie wollte nicht länger an das Mehl denken, das sie mit dem Geld hatte kaufen wollen, und auch nicht an den guten Wollstoff, den Ned in seinem Krämerladen auf Lager hatte. Es würde auch ohne diese Dinge gehen. Hatte sie es denn bisher nicht immer noch irgendwie geschafft?
Außerdem war Weihnachten nicht mehr fern. Von frühester Kindheit an hatte Laura stets fest daran geglaubt, daß diese Zeit des Jahres eine besondere war, eine Zeit der Wunder.
Als Laura Conners ihr Haus erreichte, war ihr dunkles Haar voller Schnee, und sie klopfte ihn mit der Hand heraus, so gut es ging. Im Stall führte sie das Pferd in seine Box und füllte Hafer und Wasser in die verschiedenen Tröge. Danach melkte sie die Kühe und sammelte die Eier ein. Dazu war am Morgen keine Zeit mehr geblieben.
Denn da hatte Laura noch die Pumpe in Gang setzen und Holz für den Kamin spalten müssen, bevor sie sich auf den Weg zur Schule machte. Der Tag begann für sie, lange bevor die Sonne aufging, und endete, wenn die letzten Scheite im Feuer zu rotglühender Asche geworden waren.
In einer Hand den Eimer, in der anderen einen Korb, eilte Laura die etwa hundert Meter zum Wohnhaus, das im Dunkeln lag. Die Tür hing etwas schief in den rostigen Angeln und quietschte fürchterlich, als Laura sie weit aufriß.
„Mein Wort darauf, Vater, daß ich das morgen in Ordnung bringen werde", sprach sie zu sich selbst. Drinnen entzündete sie eine Laterne und stellte sie auf den Küchentisch. Bald daraufflackerte auch schon das Feuer im Kamin. Laura blies sich in die kalten Hände, legte ein Umschlagtuch um die Schultern und ging sofort daran, aus kaltem Fleisch, Brot und Eingemachtem das Abendessen zuzubereiten. „Ich weiß, daß du damit nicht einverstanden wärst, Vater", sagte sie mit einem Blick auf den leeren Stuhl gegenüber. „Du hast immer gesagt, es wäre kein richtiges Abendessen ohne frischen Toast und Bratensoße." Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. „Vielleicht werde ich für Sonntag den alten Hahn schlachten und Auflauf machen."
Noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, wußte Laura, daß sie dazu bestimmt keine Zeit haben würde. Es gab einfach nicht genug Stunden am Tag, um alles in die Tat umzusetzen, was getan werden sollte. Trotzdem machte es Laura Spaß, daran zu denken, wie das Abendessen an den Sonntagen gewesen war, als sie noch ein kleines Mädchen war und die Eltern noch am Leben waren.
Nach der Mahlzeit räumte Laura den Tisch ab und schob sich den Stuhl näher ans Feuer. Weiß Gott, es war eine kalte Nacht. Darum mochte es besser sein, noch eine Weile hier zu bleiben und das wunderbare Gefühl zu genießen, daß es warm und gemütlich war. Doch mit der Untätigkeit zugleich kamen ganz von selbst unliebsame Gedanken, die sie nicht gerufen hatte. Wie würde ihr weiteres Leben aussehen?
Hätte es bisher anders verlaufen können? Was hatte der Vater immer gesagt?
„Müßiggang ist aller Laster Anfang!" Laura griff nach dem Besen und fegte den Platz vorm Haus, auf dem sich der Schnee bereits angehäuft hatte. Als das getan war, kehrte sie ins Haus zurück, holte sich ihren Nähkorb und setzte sich wieder. Mit unsicheren Bewegungen fädelte sie bei dem spärlichen Licht der Petroleumlampe das Garn in die Nadel. Die alten Kleider der Mutter waren schon so oft umgearbeitet worden, daß der Stoff langsam ganz fadenscheinig wurde. Laura prüfte die Nähte eines blaßblauen
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