Historical Weihnachtsband 1993
welche Seite des Gesetzes ein Mann sich stellte? Wenn es ans Sterben ging, waren sie alle gleich. Und er selbst würde bald, sehr bald schon seinen Brüdern nachfolgen. Die Zügel entglitten Matts Händen. Er beugte sich vornüber, bis er mit der Wange den warmen Hals des Pferdes berührte. Inzwischen fror Matt so sehr, daß er Arme und Beine gar nicht mehr spürte. Er schien nicht mehr zu wissen, was er tun sollte, bis ihn eine innere Stimme wieder zur Besinnung brachte.
Unterkunft finden, die Wunde verbinden, überleben . . .
Unter unsäglichen Schmerzen tastete er nach dem Messer das im Gürtel steckte.
Schweiß bedeckte in dicken Tropfen seine Stirn, so sehr mußte Matt sich anstrengen, den Strick durchzuschneiden, der ihn bisher im Sattel gehalten hatte.
Als die Schneide durch den Hanf glitt, spürte Matt nur noch, daß ihm die Sinne zu schwinden drohten, und stürzte hilflos vom Pferd, fiel in undurchdringliche Dunkelheit.
Das Geräusch eines schweren Falles draußen schreckte Laura auf. Kerzengerade saß sie nun im Bett und lauschte. In den Jahren hier allein in der Wildnis hatte Laura der Natur wie den Menschen standgehalten. Und war sie auch nicht immer darauf vorbereitet gewesen, so hatte sie dennoch nichts einschüchtern können. Nie war sie einer Schwierigkeit ausgewichen.
In der Finsternis tastete Laura nach dem alten Gewehr, das immer neben dem Bett lehnte. Die glimmenden Kohlen des niedergebrannten Feuers erhellten matt das geräumige Vorderzimmer, genug, daß sie noch den Weg zur Haustür entlang sehen konnte. Obwohl ihre Hände zitterten, stieß Laura die Tür auf, entschlossen, sich jeder Gefahr zu stellen.
Das erste, was ihr ins Auge fiel, war ein reiterloses Pferd. Dann erst bemerkte sie den Mann zu ihren Füßen. Er lag reglos da, als wäre er tot.
„Großer Gott!" Laura senkte die Waffe und legte die Rechte prüfend an den Hals des Mannes. Der Puls klopfte unregelmäßig, doch fühlbar stark. „He", sagte sie und beugte sich zu ihm nieder, um ihm ins Ohr zu sprechen. „Sie müssen mir schon helfen, wenn ich Sie ins Haus schleppen soll."
Der Mann stöhnte, versuchte sich aufzurichten. Laura legte sich seinen Arm um die Schulter, taumelte aber und schwankte unter seinem Gewicht. Unter Aufbietung aller Kräfte gelang es ihr schließlich, ihn hinein und über den Fußboden bis ins Zimmer ihres verstorbenen Vaters zu ziehen. Unendliche Mühe kostete es, ihn auf das breite Bett zu bringen. Danach lief Laura noch einmal zur Eingangstür zurück, fand das Gewehr und hob es auf. Rasch schlug sie die Tür hinter sich zu, denn draußen war es bitterkalt.
Mit einem Schwefelholz entzündete sie wieder den Docht in der Petroleumlampe, trug sie näher und beugte sich über den Liegenden. Er war mit einer Jacke aus Rindsleder bekleidet. Der breitkrempige Hut war ihm vom Kopf gefallen und mußte irgendwo hier liegen. Dunkle Bartstoppeln verrieten, daß er sich seit Tagen nicht mehr rasiert hatte. Blut, das sein ausgebleichtes Hemd durchtränkt und auf dem Leder große Flecken hinterlassen hatte, verriet Laura, daß er schwer verwundet war.
Sie goß Wasser in einen Kessel und hängte ihn über die restliche Glut im Kamin. Sie legte noch einige Holzscheite auf und wartete, daß das Wasser kochte. Inzwischen holte sie eines der scharf geschliffenen Jagdmesser des Vaters hervor und machte sich daran, die Kleidung des Mannes aufzuschneiden, was sich als äußerst mühselig erwies. Als sie damit fertig war, lehnte sie sich zurück und betrachtete ihn in der Nähe beim Schein der Laterne.
Trotz des Bartes und der wirren Haare, die ihm in die Stirn fielen und sich um den Hemdkragen ringelten, durchzuckte es Laura jetzt wie ein Blitz. Sie kannte diesen Marin!
„Matthew, Matthew Braden!" stieß sie hervor und atmete schwer.
Er bewegte die Lippen, als ob er etwas sagen wollte. Doch obwohl sie sich ganz nahe zu ihm niederbeugte, konnte sie nichts verstehen. Immer noch hielt er die Augen geschlossen. „Still doch, Matthew, jetzt bist du in Sicherheit", flüsterte Laura und drängte die Tränen zurück, die plötzlich hervorquellen wollten; sie begriff nicht, warum. Die junge Frau konnte sich eines bangen Zweifels nicht ganz erwehren. Nach der Jacke zu schließen, hatte Matthew
Braden eine ziemliche Menge Blut verloren und fühlte sich kalt an, beängstigend kalt. Mit zitternden Händen schnitt sie Jacke und Hemd ganz auf. Beim Anblick der bloßgelegten Wunde mußte sich Laura einen Moment niederkauern,
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