Historical Weihnachtsband 1993
zwischen ihnen.
Sie hätte nicht beschreiben können, wie ihr in diesem Moment zumute war.
Widerstreitende Empfindungen bewegten sie, ähnlich den Mißtönen eines zerbrochenen Instrumentes. Sie hätte Rafe so gern berührt, ihn in die Arme genommen und ihm zärtliche Liebesworte zugeflüstert. Doch ein Teil ihrer selbst hinderte sie daran, zu viel stand zwischen ihnen.
„Sind Sie nicht der Meinung, Major, daß Sie die Suche persönlich durchführen sollten?" fragte Blythe schließlich. „Sie können nicht wollen, daß Ihnen etwas entgeht." So vieles in ihr drängte sie,
ihn zu kränken, zu verletzen: seine Annahme, sie hätte ihn aufgegeben, die ablehnende Haltung bei seiner Ankunft, die rücksichtslose Jagd auf den gesuchten General in ihrem, Blythes, Hause. Vor allem freilich quälte sie das Verlangen, Rafes Lippen wieder auf den ihren zu fühlen. Natürlich hätte sie ihn leicht dazu bringen können, sie zu küssen, sie in die Arme zu nehmen. Das las sie deutlich in seinen Augen, die Erwartung, die Begierde, die flehentliche Bitte. Dennoch wäre es ein schwerwiegender Fehler nachzugeben. Rafe hätte bleiben können oder später zurückkommen, und dann würde er, Gott verhüte, Seth finden. Das durfte nicht geschehen, seinet- und ihretwegen nicht und auch um Seths willen.
Blythe schaute auf den Ring an ihrer Rechten nieder. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, Rafe Hampton wegzuschicken und fernzuhalten. Blythe war, als griffe eine kalte Hand nach ihrem Herzen, als sie langsam den Reif vom Finger zog und Rafe hinhielt.
„Nein", sagte er schmerzlich, „bitte, nicht, Blythe!"
„Ich hätte es nie geglaubt, daß wir eines Tages Feinde sein könnten, Rafe, aber du hast es mir gerade bewiesen, daß es so ist."
Mit verschlossenem Gesicht, die eben noch lebhaft leuchtenden Augen verdunkelt, verriet Rafe mit keinem Zucken eines Muskels, wie betroffen er war. „Behalte ihn!"
Er wandte sich schroff ab, um die Beherrschung nicht zu verlieren. „Du weißt, daß ich dich nicht an mich gebunden habe."
„Ich habe mein Wort aber gehalten", antwortete Blythe und hoffte, er möge gehen, bevor die Tränen sie verraten würden. „Du nicht das deine."
„Ich liebe dich", sagte er trotzig.
„Wirklich? Dann hast du aber eine sonderbare Art, das auszudrücken."
Gegen seinen Willen streckte er die Hand aus und preßte die ihre mit dem Ring darin zusammen. Jetzt muß ich gehen, aber ich werde wiederkommen, Blythe."
„Nicht so wie heute, Rafe." Ihre Stimme klang weicher. „Nicht als Offizier der Union, der mein Haus durchsuchen läßt."
Er stand da, konnte es nicht fassen, daß er sie nur wiedergefunden haben sollte, um sie endgültig und ganz zu verlieren. Dann drängte es ihn, schnell aus der Nähe dieser so bezwingenden goldbraunen Augen zu kommen, und er wandte sich ruckartig ab.
Erst auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um. „Man hat mich Sheridans Stab zugeteilt. Wenn du etwas brauchen solltest...?"
„Ich brauche nichts." Blythe blickte nun von ihm weg, denn jetzt konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten.
Rafe Hampton trat in die eisige Luft hinaus und wappnete sich sowohl gegen die Kälte, die von außen, als auch die, welche aus dem Inneren kam. Er sah, wie seine Leute die Nebengebäude durchsuchten, und wußte, daß auch diese Anstrengungen erfolglos bleiben würden. Und dennoch spürte er, daß ihm Blythe etwas verbarg, so wenig ihm das um ihretwillen angenehm war. Er blickte zum Himmel hinauf.
Weihnachten. Der Weihnachtsmorgen war angebrochen, auch wenn die Dämmerung noch einige Stunden auf sich warten ließ. In ihm gähnte eine Leere, bedrückender denn je, ein schwarzes Loch, schon beinahe vertraut, weil er seit Jahren seine Empfindungen verdrängt hatte.
Weihnachten, das Fest der Freude! Wie wunderbar war es für ihn als Knaben gewesen! Er stammte aus einer großen Familie mit sechs Kindern. Um diese Zeit quoll Hampton Farms über vor Freude und Liebe. Den Höhepunkt des Christtages bildete stets das Krippenspiel, mit dem sich die Kinder bemühten, ihren Eltern ein Weihnachtsgeschenk zu machen. Zwischen damals und heute lag ein Krieg. Der Vater tot, der ältere Bruder gefallen und Seth - ein Feind. Ein anderer älterer Bruder, Tristan, lebte in Santa Fe und hatte nur kurz mitgekämpft, als die Truppen der Konföderierten in New Mexico einmarschierten. Eine Schwester war im Kindbett gestorben, die andere mit der Mutter in South Carolina.
Und Blythe, seine schöne, zärtliche
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