Historical Weihnachtsband 1993
Notwendigkeit.
„Lassen Sie aufsitzen", wandte er sich an den Sergeant, „und reiten Sie mit der Abteilung der Straße nach weiter. Durchsuchen Sie jede menschliche Behausung. Ich werde mich selber hier noch in der Umgebung umsehen, und wir treffen dann im Camp wieder zusammen."
Neugierig musterte der Sergeant seinen Major, hatte nur zu gut die Spannung wahrgenommen, die zwischen dem Offizier und der jungen Frau zu spüren war.
Aber da der Sergeant noch nicht lange unter Rafe Hampton diente, war es schwierig, dessen Launen zu deuten. Ja, Sir", sagte der Mann daher vorsichtig.
Blythe drehte sich um und ging wortlos ins Haus und in die Küche zurück, während Rafe auf der Veranda stehenblieb, eine Hand auf das schadhafte Geländer gelegt, und dem Trupp nachschaute, der sich entfernte. Erst als der letzte Nachhall des Hufschlages verklungen war, suchte auch Rafe die Küche auf.
Blaß lehnte Blythe an der Wand, die Hand mit der Pistole des Vaters in den Falten des Kleides verborgen. Im gleichen Moment, da sie Rafes Blick auf den Brunnentrog gerichtet gesehen und bemerkt hatte, daß der Major sich kerzengerade aufrichtete, war es ihr klar gewesen, daß er das Versteck entdeckt haben mußte. Darum überraschte es sie sehr, daß er seine Leute wegschickte. Doch jede scheue Hoffnung wurde schon durch die nächsten Worte im Keime erstickt.
„Gib ihn heraus!" sagte Rafe leise. „Ich weiß, daß er sich im Obstkeller aufhält."
„Warum hast du es dann deinen Soldaten nicht gesagt?"
„Ich will dich aus der Sache heraushalten. Darum werde ich vorgeben, ich hätte ihn anderswo aufgespürt, und glaube kaum, daß er mir widersprechen wird."
„Laß sie laufen", flehte Blythe.
„Sie?"
Blythe biß sich auf die Lippen. Nun hatte sie mehr enthüllt, als ihre Absicht gewesen war. „Ich bitte dich."
„Ich kann nicht, Blythe, und du weißt das ganz genau."
„Das stimmt nicht", rief sie hartnäckig.
„Wie viele sind es?"
Blythe schwieg.
Rafe zog seinen Revolver und ging hinaus bis an den Brunnentrog. Blythe folgte und sah, wie er die Waffe niederlegte und an dem hölzernen Rohr fingerte, um herauszufinden, wie der Mechanismus arbeitete. Erst als es sich bewegte, wollte er die Pistole wieder aufnehmen.
„Laß das, Rafe!" Zwar bebte Blythes Stimme hörbar, doch der Unterton der Entschlossenheit war dennoch nicht zu überhören.
Rafe wandte den Kopf und starrte geradewegs in den Lauf ihrer Waffe, die auf ihn gerichtet war.
3. KAPITEL
Im fahlen Licht des Mondes bemerkte Rafe die glitzernden Tränen in Blythes Augen und die Pistole, die sie fest auf ihn gerichtet hielt.
„Du wirst nicht schießen", sagte er leise und stand nun mit dem Rücken zum Brunnentrog. Die Aufmerksamkeit ganz auf sie konzentriert, überhörte er die leisen Tritte auf der Kellertreppe.
„Wahrscheinlich sie nicht, Bruder, aber ich ganz gewiß", sagte eine Stimme hinter Rafe. „Dabei genügt es, wenn ich deinen rechten Arm außer Gefecht setze.
Schließlich weiß ich, wie ich dich nachher wieder zusammenflicken kann." Trotz dieses leichten Anflugs eines Scherzes, bestand kein Zweifel, daß der Mann es todernst meinte.
Rafe bewegte sich nicht bei diesen Worten, sondern hielt den Blick unverwandt auf Blythe gerichtet. „Seth?"
„Niemand anders. Nun leg die Waffe nieder und rühr dich nicht! Blythe, gib mir deine Pistole und hol einen Strick. Ich möchte verhindern, daß sich Rafe zu einer unüberlegten Handlung hinreißen läßt."
Rafe beugte sich widerstrebend vor und folgte dem Befehl. Im Moment sah er keinen Ausweg, und es schien das beste, sich in sein Schicksal zu fügen. Dann erst drehte er sich langsam um und sah dem Bruder mit einem traurigen Lächeln ins Gesicht. „Ich habe mir gedacht, daß du da unten bist."
„Dabei hättest du es auch besser bewenden lassen. Nun muß ich entscheiden, was ich mit dir anfange."
Rafe achtete nicht auf die eigentliche Bedeutung dieser Worte. Es war Seth, und er lebte. Aber er war mager, viel zu mager. Freilich, was tat das, daß er lebte war allein wichtig. Zum zweiten Male in dieser Nacht empfand Rafe Hampton eine jähe Freude, ein tiefes, wenn auch gedämpftes Glücksgefühl. Trotz Seths ernster Mahnung und der bedrohlichen Pistole, konnte sich Rafe eines Lächelns nicht erwehren. „Es ist schon so lange her, Seth, Gott im Himmel, so lange. Aber ich freue mich sehr, dich wiederzusehen."
„Selbst unter diesen Umständen?"
„Selbst unter diesen Umständen", gab Rafe offen zu. Dabei
Weitere Kostenlose Bücher