Historical Weihnachtsband 1993
eigenen Worte verursachten ihm einen unangenehmen Druck im Magen, und das Herz schlug laut. Dies könnte der schönste Tag in Rafe Hamptons Leben werden oder der allerschlimmste. Um ihretwillen suchte er die Sorge, die sich in seinem Blick spiegelte, zu verdrängen, schob Blythe sacht von sich weg und schaute sie eindringlich an, als wollte er sich wie damals vor vier Jahren jeden einzelnen Zug ihres Gesichtes einprägen.
„Ich liebe dieses Kleid", sagte er schließlich zärtlich.
„Ich habe es nicht mehr getragen seit dem Tage, an dem du gingst." Ihr wurden die Augen feucht. „Und ich wollte es erst wieder anziehen, sobald du zu mir heimkehrtest."
„Du bist so schön", sagte er, „die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe."
Selbstkritisch betrachtete sie ihre Hände, die von schwerer Arbeit rauh geworden waren, versuchte eine widerspenstige Locke zu bändigen, die sich aus dem Knoten gelöst hatte.
„Laß mich dein Haar bürsten", bat er. Der Gedanke, die lang, seidenweiche Fülle unter den Fingern zu spüren, war verlockend.
Blythe schlug die Augen schelmisch zu ihm auf. „Der Unionsmajor als Kammerzofe.
Deine Leute wären gewiß entsetzt."
„Das wären sie ganz bestimmt, wenn sie wüßten, was ich alles in den vergangenen Stunden getan habe", meinte er etwas kleinlaut und dachte daran, wie er den Kindern die Weihnachtsgeschichte erzählt und einem Südstaader den eigenen Mantel gegeben hatte, selbst wenn es sich um den Bruder handelte. Major Rafe Hampton
war als harter Mann bekannt. Doch die strenge Disziplin hatte mit dazu beigetragen, daß seine Soldaten überleben konnten.
Die Bürste lag auf der Spiegelkommode aus Kirschholz, und Rafe führte Blythe zum Bett zurück, setzte sich an ihre Seite. Während er den Knoten löste und mit einer Hand die Bürste durch das dichte kastanienbraune Haar zog, strich er mit der anderen über die Wellen und freute sich, wie seidenweich sie sich anfühlten.
Blythe konnte sich kaum etwas vorstellen, was so angenehm gewesen wäre wie die sanften Bürstenstriche, die so liebevoll ausgeführt wurden. Sie spürte Rafes Finger im Haar, die gebändigte Kraft der Bewegung, die angeborene Sanftheit, die mit seiner natürlichen Ungeduld im Widerstreit lag. Einmal mehr fragte sich Blythe, ob er sich ihr zuliebe noch beherrschen konnte. Sie liebte ihn, ja sie liebte ihn wohl wirklich.
Mit der Rechten streichelte sie seinen Schenkel, weil es sie drängte, ihre überwältigenden Empfindungen spürbar mitzuteilen. Allzu schnell ging alles vorüber.
So gern Rafe auch noch weitergemacht hätte, die Gedanken, die ihm in den Sinn kamen, lenkten ihn ab. Er hatte Benji das Krippenspiel versprochen, und danach . . .
Ob Seth nur so ins Blaue hinein behauptet hatte, daß Mosbys Leute demnächst zu erwarten waren? Und wann würden seine, Rafes, Soldaten auftauchen? In allernächster Zeit gewiß noch nicht, möglicherweise aber am späten Nachmittag. Bis dahin mußte Massey sein Gefangener sein und mit ihm, Rafe, die Farm verlassen haben, wenn er Blythe aus dem Ganzen heraushalten wollte. Er biß die Zähne zusammen. Warum? Warum mußte das alles ausgerechnet heute auf ihn zukommen, von allen Tagen des Jahres just an diesem? Nur zu gern hätte er das von sich geschoben, hätte Seth und den General aus dem Denken verbannt, aus seinem Dasein weggewischt. Aber das konnte er natürlich nicht. Ehre und Pflichterfüllung standen auf dem Spiel, und beide zwangen ihn zu handeln, selbst wenn er inzwischen an einem Punkte angelangt war, wo er befürchten mußte, dies wären nicht länger Tugenden, sondern menschliche Schwächen. Und doch war er nicht imstande, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Großer Gott, es war einfach unmöglich.
Rafe legte die Bürste nieder und berührte Blythes Wange mit bebenden Fingern.
„Du mußt hinuntergehen", sagte er. „Und ich komme in einigen Minuten dann nach."
Sie wandte sich ihm zu und schaute ernst zu ihm auf, als läse sie wieder einmal jeden seiner Gedanken. „Es wird alles gut werden", flüsterte sie, „ich weiß es ganz sicher. Irgendwie wird alles gut."
Erwünschte sich, auch so davon überzeugt zu sein und nicht dieses quälende Vorgefühl einer nahenden Katastrophe zu haben. Trotzdem nickte er und begleitete Blythe bis an die Tür, zögerte, sie gehen zu lassen. Dann war sie verschwunden und er allein mit seinen Überlegungen. Ans Fenster tretend, erblickte er den Brunnentrog, diesen verdammten Trog. Warum hatte er, Rafe, ihn in der
Weitere Kostenlose Bücher