Historical Weihnachtsband 1993
Auge, als fürchteten sie, der andere könne sich im nächsten Moment in Luft auflösen.
Sie ist so unfaßbar schön, dachte Rafe. Das Haar fiel ihr in weichen Wellen fast bis zur Taille nieder, in den honigbraunen Augen strahlte nichts als Verständnis, Zärtlichkeit und Leidenschaft. Den Mund, rot und weich, hätte man andauernd küssen wollen. Das weiße Nachthemd, hochgeschlossen und züchtig, von dem der Morgenmantel geglitten war, ließ die Rundungen des schlanken Körpers ahnen. Und so schmal Blythe auch war, so zeichneten sich die Brüste doch deutlich unter dem dünnen Baumwollgewand ab, die Hüften waren makellos gerundet. Wahrscheinlich hätte Blythe in Sack und Asche gehen können, ohne diese Schönheit einzubüßen, die aus ihrem Inneren leuchtete und jeden in ihren Bann zog. Beinahe ehrfürchtig streckte Rafe seine Hand nach Blythe aus, als ihn von neuem Tritte auf der Treppe aufschreckten.
„Ich glaube, Miss Blythe, deine Schützlinge werden ungeduldig", sagte er mit unüberhörbarem Bedauern. Ungeachtet des stürmischen Aufruhrs der Gefühle brachte es Rafe fertig, seine Stimme unbefangen klingen zu lassen, dank seiner ungewöhnlichen Selbstbeherrschung. Dann wandte er sich ab und ging zum Fenster zurück, damit sich Blythe ungestört anziehen konnte. Später erst wollte er ungesehen hinausschleichen. Keiner sollte erfahren, wo Rafe Hampton die ersten Stunden dieses Morgens verbracht hatte. Während er sich bemühte, nicht auf das leise Rascheln hinter sich zu lauschen, und der Versuchung widerstand, sich umzudrehen, blickte er aus dem Fenster zu dem Brunnentrog hinüber. Wie es Seth gehen mochte? Die vergangene Nacht war verdammt kalt gewesen. Er konnte nur hoffen, daß der dicke Offiziersmantel dem Bruder ein wenig Wärme gespendet hatte. Und wie stand es wohl um Massey? Würde er heute imstande sein zu reiten?
Und wie zum Teufel sollte Rafe den General von Seth trennen? Rafe straffte die Schultern und versuchte, die gewohnte Entschlossenheit und alte Zielstrebigkeit in sich zu wecken, Eigenschaften, denen er in all den Kriegsjahren das Überleben verdankt hatte. Da spürte er eine Hand auf dem Arm und drehte sich langsam herum. Der sorgenvolle Ausdruck in seinem Gesicht machte einem Lächeln Platz.
„Du mußt mir helfen", sagte Blythe und zwinkerte ihm leicht zu, bevor sie sich umwandte und ihm den Rücken wies.
Sie hatte das rote Samtkleid angezogen, das sie vor vier Jahren am Weihnachtstag getragen hatte, damals, als sie ihm ihr Jawort gegeben. Er hantierte unbeholfen an den zahlreichen Knöpfen, und die Finger wollten ihm nicht gehorchen. Immer wieder setzte er an, zögerte, fuhr fort, brauchte viel länger als nötig. Rafe erinnerte sich genau, wie der blutrote Samt die helle Haut unterstrichen und eine feine Glut auf die Wangen gezaubert hatte, wie er sich eng um ihre Brüste schmiegte und die schmale Taille umspannte. Wie lange war ihm dieses Bild vor Augen geblieben, hatte ihm über Schlachtfelder und Tod, über Nächte voll Alpträumen hinweggeholfen?
Stets erfüllte es ihn mit neuer Hoffnung, wenn alles ausweglos schien. Bis vor achtzehn Monaten, bis er glauben mußte, er habe Blythe verloren . . .
Heute wollte sie ihm wohl dadurch, daß sie dieses Kleid trug, von neuem versichern, daß sie zu dem Verlöbnis von damals stehe. Er legte ihr die Hände auf die Schultern, die der Ausschnitt freiließ. „Heißt das . . .?"
„Ich liebe dich, Rafe, und ich werde niemals zulassen, daß etwas trennend zwischen uns tritt."
„Auch nicht Massey?" fragte er bedrückt. „Oder Seth?" dachte er, konnte sichjedoch nicht dazu bringen, die zweite Frage zu stellen. Im tiefsten Herzen blieb die Angst, dies möge bloß eine Art Bestechungsversuch sein. Und genau das würde Rafe nicht ertragen.
Blythe lehnte sich an ihn. „Du hast immer getan, was deine Pflicht war: Ich glaube sogar, daß ich dich auch aus diesem Grunde so sehr liebe." Sie schaute zu ihm auf, und seine Zweifel an der Echtheit ihrer Gefühle schwanden, als sie langsam weitersprach. „Ich liebe dich, wie auch immer deine Entscheidung ausfallen mag.
Und ich werde niemals aufhören, dich zu lieben, was auch geschieht." Sie schluckte hörbar, bevor sie voller Schmerz fortfuhr: „Aber ich mache mir Sorgen um dich und Seth, über die Folgen, die euer Handeln für euch beide in Zukunft haben könnte."
In seiner Stimme schwang eine unaussprechliche Traurigkeit mit, als er antwortete.
„Die mache ich mir auch, Liebste." Seine
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