Historical Weihnachtsband 1993
Kinder mehr als gewöhnlich fröhlich lärmten, herrschte eine gewisse Spannung zwischen Blythe und Rafe. Sie kam von den noch unausgesprochenen Worten, den Fragen, die keiner stellte, den Entscheidungen, die immer noch nicht getroffen waren. Blythe bereitete das mehr als armselige Weihnachtsdinner vor. Sie bearbeitete die Hühner, die sie am Abend davor gerupft hatte. Rafe verschwand in den Stall, wo sein Pferd und eine alte Mähre, die weder den Unionssoldaten noch den Konföderierten des Mitnehmens wert gewesen, angebunden standen. Gleich darauf sah ihn Blythe davonreiten. Wohin?
„Miss Blythe, wer ist im Keller?"
Blythe starrte Margaret an.
„Sie haben was zum Essen runtergebracht."
Blythe schüttelte den Kopf über die eigene Unvorsichtigkeit. Man hätte wissen müssen, daß man zehn Paar Kinderaugen kein Geheimnis vorenthalten konnte.
„Captain Seth", antwortete sie, „aber das darf niemand wissen."
Margaret sperrte die Augen weit auf. „Weiß es Onkel Rafe?"
„Onkel Rafe?"
„Er hat uns erlaubt, daß wir ihn so nennen."
Blythe atmete tief durch. „Onkel Rafe!" Das hätte sie sich am vergangenen Abend nicht träumen lassen, beim ersten Anblick von Rafe Hamptons kalter Miene. Jetzt, nach einer kurzen Nacht, hatte es bereits den Anschein, als wäre Rafe immer schon hier gewesen. Wohin aber war er vorhin geritten? Blythe nickte. Ja, Liebes, er schon." Sie legte die Hühner auf den Rost im Bratofen und stellte eine Pfanne darunter, damit das Fett abtropfen konnte. Zur Soße würden sie Toast haben und den Kuchen als Nachtisch. Gemüse oder Kartoffeln gab es keine mehr. Alles in allem, war es ein trauriges Festmahl, vor allem, wenn sie bedachte, daß es noch einige zusätzliche Mägen zu füllen galt. Einen Moment ergriff sie Panik. Die Lebensmittelvorräte gingen zur Neige, und ohne Seths Zuwendungen erhob sich die Frage, wie lange sie überhaupt noch etwas zu essen haben würden.
Blythe war einige Jahre von ihm abhängig gewesen, und wenn er nun hinter die eigenen Linien zurückkehrte, erwartete ihn der Marschbefehl nach Richmond.
Natürlich war Rafe auch noch da. Aber seine Anwesenheit war Blythe noch so ungewohnt, daß es beinahe unmöglich schien, sie schon als Wirklichkeit zu begreifen. Ein kalter Schauder rann ihr über den Rücken, obwohl das Feuer Hitze ausstrahlte, und Blythe bemühte sich, der Bangigkeit Herr zu werden. Es ist Weihnachten, sagte sie sich selbst immer wieder, und zu Weihnachten geschehen wunderbare Dinge. Wenn sie nur tatsächlich hätte daran glauben können!
Als die Hühner zu brutzeln anfingen, nahm Blythe ein Glas Milch und ging zu Maria hinauf. Sie war wach, hielt das Kind im Arm, das an ihrer linken Brust saugte. Als Maria aufschaute, war der Ausdruck ihres Gesichtes weich und staunend. „Ist es nicht ein Wunder, daß etwas, das so klein und niedlich ist, so . . ." Sie verstummte.
Ja, das ist es", sagte Blythe und wünschte, daß Maria nicht weitersprechen sollte, nicht die Erinnerung heraufbeschwören an die unglückseligen Umstände, unter denen dieses Kind empfangen worden war. „Und sie ist wirklich ganz süß. Wie fühlst du dich?"
Maria lächelte und spielte mit einer Hand mit den winzigen Fingern. „Gut. Jaime war schon da mit den anderen." Ihre Augen bargen ein Geheimnis, und Blythe stellte sich kurz die Frage, was es sein mochte, bevor sie Maria zunickte. „Ich werde dir das Essen heraufschicken."
„Miss Blythe?"
„Danke für alles. Sie und das Baby sind das Allerbeste in meinem ganzen Leben."
Blythe fühlte, wie ihr die Tränen kamen. Gott im Himmel, in den vergangenen wenigen Stunden hatte sie mehr geweint als in all den Jahren davor. Doch sie besann sich. Es waren keine gewöhnlichen Tränen, waren Ausdruck großer Freude, die sie, Blythe, mit anderen Menschen teilen konnte.
„Und du, Maria, gehörst zum Besten, das mir je gegeben worden ist." Blythe eilte die Treppe hinunter, und summte dabei aus tiefstem Herzen ein Weihnachtslied. Immerhin hatte dieser Tag schon ein Wunder gebracht. Vielleicht war es nicht zu viel verlangt, noch einige dazu zu erbitten?
In der Küche fand sie die Kinder versammelt und drängte alle, mit ihr mitzusingen.
Erst fiel Margaret ein, dann Suzie mit leiser Stimme, und schließlich folgten die anderen, eines nach dem anderen. Während der letzten Woche hatte Blythe sie mehrere alte Weihnachtslieder gelehrt, und bald schon wurde jedes der Kleinen von Blythes Stimmung, ihrem Lächeln angesteckt.
Die große
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